Fey 10: Das Seelenglas
ausgearbeitet hatte, wie man sie am besten vom Ort der Macht wegbekam.
Arianna hatte keine Ahnung, wie sie die Schwarze Königin der Fey sein sollte.
Ihr Vater hatte ihr gesagt, sie würde sich in ihre Rolle schon noch einfinden. Sie hoffte, er behielt recht. Ihr ganzes Leben hatte sie sich allein gefühlt, aber noch nie so sehr wie jetzt. Mit einem Mal war sie allein und zugleich sehr mächtig, und sie wußte nicht, wie sie diese Macht gebrauchen würde.
Sie wußte, daß sie den Eroberungsmarsch der Fey durch die ganze Welt beenden würde. Ihr Urgroßvater hatte die halbe Welt erobert. Sie würde sich damit zufriedengeben. Ihr Vater hatte mit ihr über ihre Verantwortung gesprochen, und er hatte auch die eine Sache angesprochen, vor der sie am meisten Angst hatte: das Magische Dreieck.
Die Inselbewohner wußten jetzt, wo sich zwei Orte der Macht befanden. Mit diesem Wissen konnten sie den dritten ausfindig machen, und sobald sich alle drei in ihrem Besitz befanden, waren sie in der Lage, die Welt zu beherrschen. Ihren Vater schien das zu erleichtern und seinen Worten zufolge auch ihre Mutter. Ihre kleine Gruppe war am Ort der Macht zu absolutem Stillschweigen darüber verpflichtet worden, aber Arianna wußte, daß es sich früher oder später herumsprechen würde. Sie wußte, daß es in ihrer Verantwortung lag, diesen Ort zu schützen, ebenso wie denjenigen in den Eccrasischen Bergen. Sie war dafür verantwortlich, daß niemand das Magische Dreieck entdeckte – damit es niemand mißbrauchen konnte.
Und das wollte sie tun. Sie war zum Frieden erzogen worden, und sie hatte den Krieg erfahren. Sie wollte ihn nie wieder erleben.
»Arianna?«
Sie versteifte sich. Die Stimme eines Mannes, ein wenig unsicher und sehr vertraut. »Coulter?«
Er stand in der Nähe der Gartentür. Sein blondes Haar schimmerte im Sonnenlicht, seine Wangenknochen standen hervor, und seine Augen waren eingefallen. So sah er seit Adrians Tod aus, und jedesmal, wenn Arianna versucht hatte, mit ihm zu reden, hatte er sich abgewandt, als hätte sie ihn verbrannt.
»Gabe sagt, du willst mich sehen.«
Sie hatte Gabe gebeten, Coulter zu suchen, aber jetzt, da er hier war, wußte sie nicht, was sie tun sollte. Sie sah ihn nur an und legte die Hände krampfhaft gefaltet in den Schoß.
»Ich kann später wiederkommen«, sagte er.
»Nein!« Sie stand auf. Dann ging sie über den Rasen und blieb vor ihm stehen. Er senkte den Blick, wich aber nicht zurück. Sie hob die Hand, und als er nicht zurückschreckte, streichelte sie seine Wange. Seine Haut war kalt.
»Ich…« Ihre Stimme versagte. »Ich wollte dir sagen, wie leid es mir um Adrian tut.«
»Das hast du bereits erwähnt«, sagte er. Zwar wich er ihrem Blick immer noch aus, doch zum ersten Mal, nachdem der Schwarze König tot war, wich er nicht auch vor ihr zurück.
»Ich weiß«, sagte sie. »Ich hatte nur das Gefühl, wir würden allmählich … Freunde werden … und ich hoffte, wir könnten das fortsetzen. Vielleicht kann ich dir helfen, so wie du mir geholfen hast.«
Er schmiegte sich in ihre Hand. »Arianna«, murmelte er. Dann drehte er das Gesicht zur Seite und küßte ihre Handfläche. Plötzlich machte er einen Schritt zurück. »Ich kann nicht.«
»Warum nicht?« fragte sie.
»Weil du«, antwortete er, »die Schwarze Königin bist.«
»Das ist nicht der Grund«, erwiderte sie.
Schließlich hob er den Kopf und begegnete endlich ihrem Blick. Seine Augen waren so traurig, daß sie seinen Kummer wie ihren eigenen spürte. »Ich habe dir gegenüber versagt«, flüsterte er. »Ich sagte deinem Vater, er soll aufhören zu kämpfen. Ich sagte ihm, du und Gabe seid ohnehin in Sicherheit, weil ihr Fey seid.«
»Adrian war gerade gestorben.«
»Das spielt keine Rolle«, sagte er. »Ich bin nicht der Mann, den du verdienst.«
»Du bist derjenige, den ich will.«
Er schüttelte den Kopf. »Du bist noch jung. Wir beide sind noch jung. Zu jung, um solche Entscheidungen zu treffen. Du bist jetzt die Anführerin der Fey. Das mußt du allein tun. Du kannst mich nicht an deiner Seite gebrauchen. Es wäre ein falsches Signal.«
»Für wen? Die Fey sind mit weiblichen Anführern bestens vertraut.«
»Aber die Inselbewohner nicht. Und eines Tages wirst du auch über sie herrschen.«
Arianna schluckte. »Ist es das, was zwischen uns steht. Meine Herkunft?«
»Und meine«, erwiderte Coulter. »Ich werde niemals derjenige sein, den du haben willst.«
»Das bist du bereits«, sagte sie.
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