Fey 10: Das Seelenglas
»Bitte, Coulter. Bleib bei mir.«
Sie bettelte nie. Und sie flehte niemals. Das wußten sie beide.
Es war, als nähme die Traurigkeit in seinen Augen noch zu. Schließlich neigte er den Kopf. »Ich liebe dich, Ari.«
»Ich liebe dich auch«, sagte sie. »Siehst du? Alles wird …«
Er legte die Finger auf ihre Lippen. Die Geste verwandelte sich in eine Umarmung, und einen Augenblick dachte sie, er wollte sie küssen. »Nein«, sagte er. »Wir sind noch nicht soweit. Du bist noch nicht soweit. Du mußt erst noch herausfinden, was für eine Herrscherin du sein willst. Und ich muß erst wieder gesund werden. Die vergangenen Wochen haben mich fast umgebracht, Ari.«
»Wir können doch gemeinsam weitermachen«, sagte sie, wußte aber sofort, daß er ihr widersprechen würde.
»Ich werde immer hier sein«, sagte er. »Jeder Visionär bedarf der Unterstützung eines Zaubermeisters. Soviel weiß ich von den Fey. Ich will der deine sein.«
Sie zitterte. »Und was dann?«
»Wir warten einfach ab«, erwiderte er. »Wenn es mir bessergeht und du dich eingerichtet hast, können wir es ja noch mal versuchen.«
»Ich würde es lieber jetzt versuchen.«
»Du kannst nicht alles haben, was du willst, Ari. Manchmal ist es besser, wenn man abwartet.«
Sie legte einen Finger unter sein Kinn und hob seinen Kopf so weit, daß sie ihm in die Augen sehen konnte. Dann beugte er sich vor und küßte sie. Es war ein langer, intensiver und inniger Kuß. Seine Arme umfingen sie und zogen sie fest an ihn. Sie legte ihre Arme um seinen Hals und klammerte sich an ihn, als würde sie ihn niemals wiedersehen.
Schließlich zog er den Kopf zurück und löste seine Lippen von ihren. Sie hielt ihn immer noch fest. »Wirst du trotzdem mein Freund sein?« fragte sie.
»Ich werde immer mehr als dein Freund sein«, sagte er und entzog sich ihrer Umarmung.
52
Der Palast sah anders aus. Die ganze Stadt sah verändert aus. Sie war voller Fey, aber sie wirkten ein bißchen verwirrt, verunsichert, als wüßten sie nicht genau, was sie dort verloren hatten und was sie jetzt tun sollten.
Luke ging ihnen immer noch möglichst aus dem Weg. Der König war noch nicht lange genug zurück, um sich mit allen Verwüstungen zu befassen, die die Invasion nach sich gezogen hatte. Aber er hatte verkünden lassen, daß alle Leute nach Hause zurückkehren sollten. Jedes unbewohnte Haus würde zuerst bedürftigen Inselbewohnern zugesprochen werden und dann den Fey.
Luke und Con hatten das kleine Haus übernommen, aus dem Con, wie er erzählte, auf seiner Reise nach Süden ein paar Fey-Kleider gestohlen hatte. Die beiden waren auch nach der Verkündung des Todes des Schwarzen Königs zusammengeblieben und hatten auch danach noch zweimal versucht, in den Palast zu gelangen. Die Inselwachen hatten sich als ebenso hartnäckig erwiesen wie die der Fey.
Con stand neben Luke und trug immer noch sein Schwert an der Hüfte und das kleine Schwert um den Hals. Luke hatte ihn mitgebracht, obwohl König Nicholas nicht darum gebeten hatte. Luke war der Meinung, der König sollte wissen, was Con für den Sohn des Königs getan hatte.
Es ging darum, daß es um die Königskinder einige Verwirrung gegeben hatte. Anscheinend hatte er drei Kinder, nicht zwei. Ein Sohn war von den Fey großgezogen worden. Das war der junge Gabe, den man zu verschiedenen Anlässen durch Jahn spazieren sehen konnte. Seine Ähnlichkeit mit seiner Schwester, der Prinzessin Arianna – die jetzt die Schwarze Königin der Fey war –, war so verblüffend, daß man sich wunderte, daß er vorher niemandem aufgefallen war. Und dann hatte König Nicholas noch einen anderen Sohn, Sebastian, der bei Con gewesen war.
Seit der Rückkehr des Königs hatte niemand Sebastian gesehen. Con sorgte sich darum, daß der Schwarze König ihm etwas nicht Wiedergutzumachendes angetan haben könnte. Luke war sich dessen sicher.
Nachdem Luke einem der Wachtposten seinen Namen genannt hatte, bat man ihn und Con zu warten, während ein zweiter Posten König Nicholas und seine Kinder holen ging. Sie mußten lange warten, aber dadurch erhielten sowohl Luke als auch Con die Gelegenheit, sich daran zu gewöhnen, daß sie im Palast waren.
Schließlich führte man sie in den Audienzsaal. König Nicholas saß ein wenig erhöht auf einem reichverzierten Thron. Neben ihm stand seine Tochter, die neue Schwarze Königin, und unterhielt sich mit einer ziemlich verhutzelten Fey. Die Mischung aus Fey und Inselleuten im Palast
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