Fey 10: Das Seelenglas
noch eine weitere Lösung einfällt, nur für den Fall, daß ihr Plan fehlschlägt. Was meinst du?«
»Ich glaube, das ist eine gute Idee«, sagte Gabe und lächelte sie an.
Sie lächelte zurück. Sie würden weiter streiten, das wußte sie. Weil sie beide starke Persönlichkeiten waren und weil die Gefühle des einen die des anderen zu spiegeln schienen. Aber so lange sie an diesen Punkt zurückfinden konnten und lernten, miteinander zu arbeiten, war alles gut.
Sie brauchten einander. Sogar sie sah das ein.
Vielleicht hatte ihre Mutter ja recht. Vielleicht war diese Gruppe ja wirklich stark genug. Vorausgesetzt, alle zogen an einem Strang.
Es wurde Zeit für sie, das herauszufinden.
5
Nicholas stand vor den kugelförmigen Glasgefäßen. Dutzende davon, wohl an die hundert, standen aufgereiht in den Regalen. Die Kugeln hatten unterschiedliche Größen, aber sie sahen anders aus als die, die im Tabernakel benutzt wurden. Sie glichen den Kugeln, die beinahe seine Kinder geblendet hatten.
»Sind sie schon im Schattenland?« fragte Adrian, ohne sich umzudrehen. Er stand am Eingang der Höhle und beobachtete alles.
»Alle außer Coulter. Er ist an den Rand des Plateaus gegangen.«
»Gut«, sagte Nicholas. Er griff nach der Kugel, die er zuvor berührt hatte. Seine Hand blieb zögernd über ihr in der Luft stehen, dann zog er sie zurück. »Ist der Torkreis geschlossen?«
»Ja«, antwortete Adrian. Dieses Mal schaute Nicholas auf. Adrian entfernte sich vom Eingang der Höhle.
Nicholas strich sich durch die Haare. Adrian blieb neben ihm stehen. »Wo soll ich anfangen?«
»Ich will noch gar nicht anfangen«, sagte Nicholas. »Ich habe nachgedacht. Bis jetzt wissen wir nur, daß die Kugeln auf Wesen mit Fey-Blut wirken. Was aber, wenn eines dieser Dinger auch den Benutzer beeinflußt?«
Adrian starrte an die Wand, auf die Regale, auf alle Gegenstände darauf. »Dann sterben wir«, sagte er leise.
»Richtig«, sagte Nicholas. »Dann sterben wir. Und unserer Sache ist mit nichts gedient. Nicht einmal mit der Erkenntnis, was überhaupt passiert ist. Wenn die anderen hierher zurückkommen, sind wir beide einfach tot.«
»Vielleicht sind sogar unsere Leichen verschwunden«, sagte Adrian.
Nicholas lächelte grimmig. »Daran habe ich auch gedacht.«
»Aber wir müssen es versuchen. Wir müssen wissen, was es mit diesem Ort auf sich hat«, sagte Adrian.
»Allerdings.« Nicholas holte tief Luft. »Ich versuche es allein. Du siehst zu. Du bist Augenzeuge.«
»Es wäre klüger, Sire«, sagte Adrian mit gebeugtem Kopf, »wenn ich diese Dinger eins nach dem anderen probieren würde. Wenn ich sterbe, bleibt Ihr am Leben. Mein Leben ist entbehrlicher als Eures.«
Nicholas zog eine Grimasse. So waren sie beide erzogen worden. Der König vor allen anderen. Lang lebe der König. Nur stimmte das jetzt nicht mehr. Der König war König von nichts mehr. Wenn er aber seine Kinder am Leben erhielt, würden sie die Blaue Insel und die halbe Welt beherrschen.
»Eigentlich«, sagte Nicholas, »sind wir beide entbehrlich. Verzeih mir, Adrian, aber so ist es. Deswegen sind wir hier.«
»Sire …«
»Halt«, sagte Nicholas. »Wir sind jetzt Gefährten. Mein Titel ist nur einer Sache wegen wichtig: Ich bin ein direkter Nachfahre des Roca. Und du?«
Adrian starrte ihn an. »Meine Familie reicht Generationen zurück.«
»Das tun alle Familien«, sagte Nicholas. »Aber wie viele Generationen kannst du zurückverfolgen?«
»Nicht sehr viele«, gab Adrian leise zu.
Nicholas kauerte sich vor den Regalen nieder und betrachtete die etwas größeren Kugeln. Er konnte darin sein eigenes, von der Wölbung verzerrtes Spiegelbild erkennen. Er hatte blaue Augen und blondes Haar, das bereits grau wurde. Seine einst vollen Wangen waren durch die pausenlose körperliche Anstrengung und die mangelhafte Ernährung eingefallen.
Hatte der Roca so ausgesehen? Schwer zu sagen, wenn man die Wandteppiche betrachtete. Obwohl er dort noch lange, wehende, blonde Locken trug.
Nicholas’ Ruhe machte Adrian nervös. »Sire, wenn Ihr glaubt, das tun zu müssen, dann irrt Ihr Euch. Ich denke logischer, wenn …«
»Nein, ich denke logisch«, unterbrach ihn Nicholas. »Wenn wir diesen Ort richtig begreifen, dann sind diese Dinge vom Roca zurückgelassen worden. Und wenn sie sein Eigentum waren, dann bedarf es wahrscheinlich einer besonderen Kraft, einer Kraft, die auch er besaß, um sie zu benutzen. Es muß einen Grund für die Ermahnung an seine
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