Fey 10: Das Seelenglas
Lichtkugeln sind wie die Feuerbälle, die Coulter mit seinen Händen machen kann.«
»Ja«, sagte Adrian wieder und schien auf eine Art Schlußfolgerung von Nicholas zu warten.
»Und das«, sagte Nicholas, »das ist Blut. Es hatte die Macht, die Glasschale zu zersprengen, diesen Mann oder diese alte Seele oder was immer es war, zu befreien. Es hat ihm sogar erlaubt, einfach zu verschwinden. Was, wenn es noch weitere Eigenschaften besitzt?«
»Welche zum Beispiel?«
»Warum häuten die Fey ihre Opfer und bewahren die Hautfetzen in Beuteln auf?«
»Das weiß ich nicht.« Adrian setzte sich neben ihn. »Keiner hat mir das je erklärt, nicht einmal Fledderer. Ich bin nicht sicher, ob er es überhaupt genau weiß.«
»Aber dennoch weißt du, daß es einem magischen Zweck dient.«
»Ich habe es schon gesehen«, antwortete Adrian. »Als Coulter ein kleiner Junge war, versuchten die Fey herauszufinden, welche Zauberkräfte er besitzt. Er schuf eine unsichtbare Kugel um sich herum, durch die hindurch ihn kein Zauber angreifen konnte. Und dann benutzten die Fey etwas von dieser Haut und machten die Kugel sichtbar. Sie fanden eine Öffnung und hätten ihn fast getötet.«
Nicholas sah Adrian an. Die Geschichte war zwar ekelerregend, aber sie machte ihn nachdenklich. Eine Kugel aus Magie, die mit Hilfe des Inhalts der Beutel sichtbar gemacht werden konnte. Er hatte auch von Jewel erfahren, daß die Fey die Haut benutzten, um die Eigenschaften von Weihwasser zu erproben.
»Was, wenn die Haut selbst, wenn sie auf Fey-Art abgetrennt wird, magische Eigenschaften besitzt?« überlegte Nicholas laut. »Was, wenn sie dadurch zum magischen Gegenstand wird?«
»Wahrscheinlich ist es so«, sagte Adrian, »sonst würden sie sie nicht so scharf bewachen.«
»Und die zauberkundigen Leute um uns herum hätten nicht eine solche Wirkung verspürt, als dein Sohn ein geheimes Hautversteck zerstört hat.«
Adrian sah ihn an, und Nicholas konnte den Stolz erkennen, den er für seinen Sohn empfand. Stolz vermischt mit Sorge. So wie Nicholas für seine eigenen Kinder empfunden hätte. »Wollt Ihr damit sagen, das Blut könnte dieselben Eigenschaften besitzen?«
Nicholas nickte. »Oder ähnliche. Warum sollte man Blut sonst aufbewahren und lagern?«
»Keine Ahnung«, sagte Adrian. »Dieser ganze Ort hier bedrückt mich. Er führt mir vor Augen, wieviel ich nicht weiß.«
Er fuhr sich ratlos mit der Hand über das Gesicht und blickte dann zum Brunnen. »Selbst davor«, sagte er zweifelnd. »Selbst davor haben wir Angst, weil wir nicht wissen, was es wirklich ist.«
»Wir wissen aber, was wir glauben, daß es ist«, erwiderte Nicholas.
»Aber wir wissen es nicht. Nicht genau!« sagte Adrian. »Selbst wenn es Weihwasser wäre, was ich nebenbei bemerkt nicht annehme, würde es uns nicht schaden. Euch nicht und mir auch nicht.«
Nicholas nickte. »Dasselbe habe ich auch gedacht.« Er nahm Adrian den Stöpsel aus der Hand und verschloß die kleine Flasche mit dem blutigen Inhalt. Sie hatten kein Wachs, um sie wieder vollständig zu versiegeln, aber er glaubte nicht, daß das von Bedeutung war. Jedenfalls nicht jetzt. Er stellte sie ins Regal zurück und wischte sich das restliche Blut, das noch an seinen Fingern klebte, an der Hose ab.
Dann ging er die Stufen zum Brunnen hinab und Adrian folgte ihm.
Nicholas hatte sich ihm schon einige Male genähert, aber er hatte ihn nie genauer betrachtet. Er hatte Jewel immer davon abgehalten, weil er Angst hatte, er würde sie zerfließen oder für immer verschwinden lassen. Seine Kinder waren nie in die Nähe des Brunnens gegangen, und Leen und Fledderer auch nicht.
Der Strahl der Fontäne plätscherte. Er war jetzt schon so an dieses Geräusch gewöhnt, daß er es nur noch zur Kenntnis nahm, wenn er sich darauf konzentrierte. Es war ein beruhigendes Geräusch. Dieses tröstliche Geräusch war einer der Gründe dafür, warum einem dieser Ort das Gefühl von Sicherheit vermittelte.
Dort, wo sich der Sockel des Brunnens aus dem Boden erhob, gingen die Korridore in den Berg ab, ganz so, als sei der Brunnen eine Art Zentrum, von dem alles ausging.
Nicholas ging neben dem Sockel, der aus dem Fels gehauen war, in die Hocke. Aber niemand hatte den Felsblock bewegt, um ihn zu bearbeiten. Seine Form war ihm an Ort und Stelle gegeben worden. Der Felsen erhob sich hier natürlich aus dem Boden, und er war oben genauso breit wie unten. Er verjüngte sich nur an einer Stelle bis auf Handgelenksbreite, bevor
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