Fey 10: Das Seelenglas
ein Teil des Schädels, lag auf dem Steinboden. Mit seiner Hand umfaßte er immer noch das Fläschchen mit dem Blut.
»Was ist das deiner Meinung nach?«
»Ein neuer Zauber«, sagte Nicholas. »Noch ein Geheimnis, das wir nicht verstehen. Und ich verstehe nicht, wie es uns hier und jetzt von Nutzen sein kann.«
»Wir könnten es mit einer weiteren Puppe versuchen«, sagte Adrian.
»Ich weiß nicht, ob ich das wirklich will.« Nicholas sah auf die Puppen. Der seltsame Mann war zwar verschwunden, aber Nicholas wußte nicht, ob er wirklich weg war. Selbst wenn er geblieben wäre, hätte er ihnen dann geholfen oder eher geschadet?
Er wußte es nicht.
Adrian nickte. Seine Hand schwebte über dem zerbrochenen Glas. »Glaubt Ihr das, was er über die Sprache gesagt hat?«
»Ich habe schon seltsamere Dinge von den Fey gehört«, entgegnete Nicholas.
»Und das über Coulter? Und Euren Vater?«
Nicholas schüttelte den Kopf. »Das habe ich überhaupt nicht verstanden. Aber er schien das Wort ›Roca‹ zu kennen.«
»Aber er mochte es ganz und gar nicht«, sagte Adrian.
Das war Nicholas auch aufgefallen. Der Mann war wohl in der Glaspuppe gefangen gewesen, denn augenscheinlich war er sehr froh, frei zu sein. Für wie lange mag er wohl da drin gewesen sein?
»Schon immer«, hatte er gesagt.
Schon immer.
Wie lange war das?
Er hatte gesagt, er hätte die Höhle mit Coulter zusammen entdeckt. Konnte das der Roca gewesen sein?
Nicholas sah Adrian ratlos an. Er hatte nie daran gedacht, daß der Roca schon vorher einen Namen gehabt hatte. Aber das mußte er ja wohl. Der Roca war nur ein normaler Mensch. Es war Bestandteil der Religion, die besagte, daß ein Mann den Mut aufgebracht hatte, sich gegen die Soldaten des Feindes zu stellen, daß er die Stärke besessen hatte, sich selbst zu opfern, um andere zu retten.
Coulter?
Genauso wie ihr Coulter?
Außer, daß er gesagt hatte, er sehe wie Nicholas aus.
Nicholas ging in die Hocke, zog die Glasscherben aus seiner Hand und legte sie neben den zerschmetterten Kopf der Puppe. Dann zog er die kleinen Splitter aus Adrians Gesicht. Die Schnitte waren sehr fein und bluteten kaum.
»Tut es weh?« fragte Nicholas.
Adrian schüttelte den Kopf.
»Meine Hände eigentlich auch nicht.« Auch das fand Nicholas merkwürdig. Bei der Glaspuppe war offensichtlich magische Kraft im Spiel. Aber war es die Art von Magie, die Sebastian erschaffen hatte? Oder war es eine ihnen unbekannte Form?
Er nahm Adrian das Fläschchen aus der Hand. Der Verwesungsgeruch war immer noch sehr stark, die Flasche warm von Adrians Berührung, aber ansonsten war nichts Ungewöhnliches daran festzustellen.
Nicholas blickte Adrian an und senkte die Flasche ein wenig. Er hielt sie in seiner Rechten und tauchte den linken Zeigefinger in die Flüssigkeit.
Ein Kribbeln breitete sich von seinem Finger zunächst über das Rückgrat und dann über den ganzen Körper aus, genauso, wie sich die rötliche Farbe in der Puppe verteilt hatte. Er schüttelte sich kurz, dann war dieses Gefühl verschwunden.
»Was war das?« fragte Adrian.
Nicholas schüttelte den Kopf, denn er wußte nicht, ob überhaupt etwas gewesen war. Er war nicht sicher, ob dieser Schauer nur seine eigene Reaktion oder etwas mehr als das gewesen war.
Oder weniger.
Zu viele Fragen und keine richtigen Antworten.
Er setzte sich nieder, wobei er sorgfältig darauf achtete, den Glasscherben auszuweichen. Adrian begann, die verbliebenen Bruchstücke aufzulesen und sie dann neben den Puppenkopf zu legen. Das Glas war wieder klar. Seit es zerplatzt war, waren alle roten Linien verschwunden.
»Adrian«, sagte Nicholas, »wir haben das alles falsch angepackt.«
»Sire?« Adrian arbeitete unbeirrt weiter.
»Wir hatten bisher angenommen, daß unsere Religion einen Gegensatz zu der Zauberkraft der Fey darstellt. Aber was ist, wenn alles ein und dasselbe ist?«
»Ich kann Euch nicht folgen«, sagte Adrian.
»Wir wissen, daß Coulter die gleichen Fähigkeiten hat wie ein Zaubermeister der Fey, nur fehlt ihm die Übung. Jewel sagt, auch in meiner Familie seien wahrscheinlich magische Kräfte vererbt worden. Auch Matthias ist ein Zaubermeister. Das sieht mir sehr nach Fey aus. Und jetzt stammen auch noch beide Familien vom selben Ort der Macht ab.«
»Ja«, sagte Adrian einfach. Er klang dabei jedoch so zögerlich, als sei er noch unsicher, worauf Nicholas hinauswollte.
»Diese Glaspuppe ist der Fey-Magie, die ich kenne, sehr ähnlich. Und diese
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