Fia die Betoerende
hatte.
„Ich gehe Lady Fia besuchen, und dieses Mal, bei Gott, wird sie mich empfangen.“
Sie schlief nicht. Es schien ihr beinahe so, als ob Schlaf eine weitere von den Sachen war, die sie immer für unverzichtbar gehalten hatte, die es aber gar nicht waren. So saß sie nun in dem Lehnstuhl, den sie sich ans Fenster gerückt hatte, und wartete auf das Morgengrauen. Es wird kommen, versicherte sie sich. Die unvernünftige Angst, dass es an diesem Tag nicht kommen würde und sie auf immer allein in diesem dunklen Zimmer würde sitzen müssen, ließ ihre Finger, mit denen sie gerade eine Seite des Buches auf ihrem Schoß umblätterte, zittern.
Als das Klopfen an der Tür zu ihrem Boudoir ertönte, antwortete sie sofort. Porter trat ein und schloss die Tür hinter sich.
„Es tut mir sehr Leid, Sie zu stören, Mylady. Aber hier ist . . .“
Hinter ihm wurde die Tür geöffnet, und Thomas füllte den in Schatten gehüllten Türrahmen mit seiner hoch gewachsenen, breitschultrigen Gestalt. Seine Augen fanden Fia, hielten ihren Blick. „Schick ihn fort“, sagte er.
Porter schob sein Kinn vor und richtete sich zu voller Höhe auf. „Ich werde augenblicklich die Lakaien herbeirufen, Mylady, und wir werden . . .“
„Nein“, entgegnete Fia. „Nein. Es ist in Ordnung, Porter. Sie dürfen jetzt gehen.“
„Aber . . .“
„Bitte, Porter.“
Unglücklich verbeugte sich der Butler und verließ den Raum. Thomas schloss die Tür hinter ihm. Fias Herz flatterte in ihrer Brust, und auf ihren Lungen lastete ein quälender Druck. Er sah furchtbar aus. Die glühenden Augen beherrschten sein Gesicht. Er hatte sich nicht rasiert. Die Bartstoppeln, die die straff gespannte Haut seines wie gemeißelten Gesichts bedeckten, schimmerten dunkel in dem schwachen Licht ihrer Tischlampe. Sein Haar war nicht gekämmt, sein Halstuch gelockert und unordentlich. Sie hatte gewusst, dass er kommen würde, dass er irgendwann die Hindernisse, die sie ihm in den Weg legte, einfach beiseite fegen und zu ihr kommen würde. Er konnte nicht anders. Wegen dem, was er war und was er nicht war. Er dachte, dass ihr ein Unrecht geschehen war und dass er daran Schuld habe, und Thomas - ehrenhafter, zorniger Thomas - konnte es nicht ertragen, wenn ein anderer für seine Taten bezahlen musste.
Sie hatte geglaubt, sie hätte sich für seinen Anblick ausreichend gewappnet, aber nichts hatte sie auf den schier unerträglichen Hunger vorbereitet, den seine Nähe in ihr weckte.
Himmel, war er schön. So groß und beherrschend und stark. Sie sehnte sich so sehr danach, zu ihm zu gehen, in seinen Armen, in seiner Stärke geborgen zu sein, nicht nur eine Stärke des Körpers, sondern auch des Geistes.
Aber wer würde Thomas vor ihr beschützen, vor dem, was sie eines Tages tun könnte? Denn selbst wenn sie wusste, dass Thomas nicht anders konnte, als zu ihr zu kommen, weil er eben einfach war, wer er war, so wusste sie auch, wer sie war. Carrs Tochter. Eines Tages würde sie sich vielleicht nicht für den beschwerlicheren, den richtigen Weg entscheiden. Eines Tages wäre sie vielleicht bereit, andere zu opfern, um ihre Ziele zu erreichen.
„Fia.“ Die Sehnsucht, die in seiner Stimme mitschwang, ließ sie beinahe schwach werden.
„Ja?“ zwang sie sich gelassen zu antworten.
„Du siehst entsetzlich aus.“
Da musste sie lächeln. Manchmal vergaß Thomas seine ritterlichen Manieren und verfiel in die unverblümte Aufrichtigkeit eines Kapitäns zurück. Diesen krassen Gegensatz fand sie höchst anzieh . . . Sie hielt inne. Was tat sie da? Noch vor einem Monat hätte sie mit einer ironischen Erwiderung gekontert, aber jetzt. . . Ihr war einfach nicht danach.
„Mir geht es gut.“
„Wirklich?“ Er machte einen Schritt weiter in den Raum, und sein Blick glitt suchend über ihr Gesicht. „Du fühlst dich wirklich nicht unwohl?“
„Entgegen allem Augenschein geht es mir gut.“
„Gut. Ich konnte nicht. . . Ich musste mich persönlich davon überzeugen. Es tut mir Leid, dass ich dich gestört habe.“ Er neigte seinen Kopf in einer angedeuteten Verbeugung.
Er geht? Nein! Noch nicht! Es waren gerade zwei Wochen vergangen, seit die Alba Star sie zurück nach London gebracht hatte. Zwei Wochen, seit die Mietdroschke sie von dem schweigsamen, völlig in sich zurückgezogenen Mann fortgebracht hatte, den sie auf der kurzen Heimreise über die Nordsee nur ab und zu flüchtig zu Gesicht bekommen hatte.
„Ich habe Nachricht von einem Freund in
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