Fia die Betoerende
Außerdem erzielte ihr dünnes Morgenkleid nicht die gewünschte provokative Wirkung, es sei denn Männer fänden den Anblick von Gänsehaut erregend. Sie hatte vergessen, wie kalt es in den Highlands war.
Dennoch war der zusätzliche Schlaf, den sie genossen hatte, ihrem Aussehen zuträglich gewesen. Ihre Haut schimmerte zarter, das Weiß in ihren Augen war so klar wie Porzellan, und die dunklen Schatten an ihren Schläfen und unter ihren Augen waren verschwunden. Sie sah eindeutig wenigstens leidlich gut aus und musste selbst zugeben, dass sie nicht gerade wenig Enttäuschung verspürte, als Thomas nicht an ihrer Schlafzimmertür erschien und um Einlass bat.
Inzwischen hatte sie begriffen, dass Thomas nicht nur nicht zum Dinner kam, sondern gar nicht hierher zurück.
Am vierten Tag entdeckte sie dann endlich Gordie, der gerade damit beschäftigt war, Steine in einiger Entfernung vom Haus aufzuschichten. Vorsichtige Nachforschungen brachten ihr die Auskunft, dass Thomas ihm die Aufgabe übertragen hatte, die Mauer um den Küchengarten zu erneuern - um dadurch, so vermutete Fia, den Jungen vor ihrem schädlichen Einfluss zu bewahren. Auf die Frage, wo Thomas sich denn genau aufhielte, blieb ihr der Junge die Antwort schuldig; er lief erst rot an, dann murmelte er etwas Unverständliches und eilte schließlich fort.
Fia hegte keinen Zweifel an ihrer Fähigkeit, Gordie die gewünschte Auskunft zu entlocken, aber dadurch hätte sie den Jungen in Schwierigkeiten gebracht, und irgendwie widerstrebte es ihr, ihn in . . . was auch immer zwischen ihr und Thomas war, hineinzuziehen.
So wandte sie sich nach Osten, dorthin, wo wie sie vermutete, McClairen's Isle liegen müsste, doch so sehr sie sich auch dort hingezogen fühlte, so wusste sie es doch besser, als zu versuchen eine so große Entfernung zu Fuß zurückzulegen. Thomas’ Warnungen vor Straßenräubern, ausgesprochen, um ihr Angst einzujagen, damit sie dort bliebe, wo er sie hingebracht hatte, waren überflüssig gewesen. Sie hatte selbst hier gelebt. Der Anblick von aus Armut geborener Verzweiflung war ihr nicht fremd; allzu oft war ihr eigener Vater der Grund dafür gewesen.
So begab sie sich also zurück in Thomas' ungefegtes, ungeschrubbtes, unaufgewischtes, unabgestaubtes und ungebohnertes Haus und beobachtete Gordie vom Fenster aus dabei, wie er sich immer wieder bückte und Stein um Stein die Mauer errichtete, bis es sie schließlich schier in den Wahnsinn trieb. In den Wahnsinn, der Hausarbeit hieß.
Sie entledigte sich ihres Korsetts und ihrer Unterröcke und legte ein einfaches - und vor allem warmes - Kleid an. Damit angetan, machte sie sich an die Arbeit. Auch wenn sie ihr nicht gerade unbedingt Spaß machte, so half sie ihr doch, sich die Zeit zu vertreiben und am Abend einzuschlafen, ohne von Thomas' Bild verfolgt zu werden.
An diesem Abend traf Fia schließlich die bis dahin ungesehene Mrs. Grace MacNab - eine Frau, deren Begabung an den Kochtöpfen ihre Unfähigkeit im Umgang mit Schrubber und Besen mehr als wettmachte. Die ältere Frau musterte Fia mit vollkommener Gleichgültigkeit, bemerkte: „Gut. Jetzt werde ich nicht mehr das Tablett die Treppe raufschaffen müssen“, und wandte sich wieder ihrer ursprünglichen Beschäftigung zu, die darin bestand, das Gemüse in dem Topf, der auf dem großen Herd stand, gemächlich umzurühren.
Es dauerte ungefähr eine knappe Stunde, bis Fia herausgefunden hatte, dass Mrs. MacNabs Konversationstalent irgendwo unterhalb ihrer haushälterischen Fähigkeiten anzusiedeln war. Aber nach einem Bissen von dem wohlschmeckenden, würzigen Eintopf der wortkargen Schottin entschied Fia, dass wenn ein schmutziges Haus der Preis war, den man zahlen musste, wollte man in den Genuss von Mrs. MacNabs Eintopf kommen, man ein gutes Geschäft machte.
Wenn Mrs. MacNab schließlich sprach, nahm sie kein Blatt vor den Mund, aber sie war auch mit Ausnahme des ständig errötenden und aus Verlegenheit schweigsamen Gordie der einzige Mensch, den Fia überhaupt zu Gesicht bekam. Das war der Grund dafür, dass sie an ihrem fünften Tag in dem einsamen Herrenhaus schon in der Küche wartete, als Mrs. MacNab von wo auch immer sie wohnte eintraf.
„Ah! Sie kommen aber früh. Gut, ich bin fast verhungert“, begrüßte Fia sie, als die Küchentür aufging und Mrs. MacNab eintrat, den Arm voll frischen Gemüses.
„Haben Sie denn kein Mittagessen gehabt?“ fragte die ältere Frau und musterte sie scharf, während sie ihre
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