Fia die Betoerende
ihr ausdrucksloser Tonfall eben nicht auf das Fehlen jeglichen Gefühls hindeutete, sondern bei ihr ganz im Gegenteil ein Anzeichen für sehr tief gehende Gefühle war, die sie zu verbergen suchte.
Er gab ihr nicht länger die Schuld an dem, was Pip zugestoßen war. Seitdem hatte er zu viel über sie erfahren. Manches hatte sie ihm gesagt, anderes hatte er sich selbst zusammengereimt, das, was sie verschwieg, selbst erraten.
Fia hatte Pip kennen gelernt und war von seiner jungenhaften Art eingenommen gewesen. Ohne Hintergedanken und ohne Böses zu ahnen hatte sie Pip so behandelt, wie sie den einzigen anderen Jungen ihrer Bekanntschaft zu behandeln pflegte, einen Jungen, der ganz offensichtlich keinerlei romantische Gefühle für sie hegte: ihr Stiefsohn Kay. Sie hatte nicht vorausgesehen, dass Pip ihr natürliches, freundliches Benehmen ihm gegenüber so falsch verstehen könnte. Und als sie das bemerkt hatte, war es schon zu spät gewesen.
„Es tut mir so Leid“, erklärte er.
Sie fragte nicht, was, aber sie verstärkte einen Augenblick lang den Druck ihrer Finger, die auf seinem Arm ruhten. Sie gingen eine Weile schweigend, und bei jedem Schritt stieg der Geruch von nassen Kieselsteinen und Tannennadeln vom Boden auf.
„Vermisst Kay seinen Vater?“ fragte er.
„Gregory? Sicher. Aber Gregory war nicht oft bei uns.“ „Und vermissen Sie Ihren Ehemann?“ Er hatte keine Ahnung, warum er das wissen wollte.
Sie blieb jäh stehen, drehte sich zu ihm um und betrachtete ihn einen langen Moment eindringlich, bevor sie erwiderte: „Gregory MacFarlane war ein stumpfsinniger Mann, der kein größeres Ziel im Leben kannte, als die Anerkennung von Wüstlingen, Lebemännern und anderen verkommenen Subjekten zu erringen. Er behandelte seine Kinder mit gutmütiger Vernachlässigung und mich mit verunsicherter Duldsamkeit, was gewiss besser ist als manches, was Eltern ihren Kindern entgegenbringen und viel besser, als ich es erwartet hatte. Ich habe ihn weder geliebt noch gehasst, weder geachtet noch verabscheut, was alles in allem genommen unsere Ehe wenig bemerkenswert machte.“ „Warum haben Sie ihn geheiratet?“ Es war eine unfaire Frage; es konnte gut sein, dass sie nicht wusste, warum Carr sie mit MacFarlane verheiratet hatte.
„Ich habe ihn wegen seines Hauses geheiratet“, verkündete sie, drehte sich um und ging fort.
„Sicher ging es um mehr als das allein“, beharrte er und beeilte sich, sie einzuholen. Er fasste sie am Arm, und sie blieb stehen. „Carr kann doch kein Gutshaus im schottischen Tiefland gebraucht haben.“
„Carr?“ wiederholte sie. „Was hat Carr damit zu tun?“ „Ich hatte angenommen, er hätte Sie . . . überredet, MacFarlane zu heiraten.“
„Warum sollten Sie so etwas denken?“ fragte sie.
Er betrachtete sie mit wachsender Verwunderung. „Weil“, erwiderte er sanft, „wie Sie selbst zugeben, Carr Sie von Kindesbeinen an mit dem einen Ziel erzogen hat. . .“ „Verdammt sei Carr“, flüsterte sie plötzlich mit unterdrückter Heftigkeit. „Verdammte Pläne von Carr. Ich habe MacFarlane geheiratet, um Carr und seinen Machenschaften und seinen Ränken zu entfliehen. Denn ich dachte, nach MacFarlanes Tod wäre ich ein für alle Mal frei davon, in irgendwelche Rollen gepresst und zu irgendwelchen Dingen gezwungen zu werden und nicht tun zu können, was ich eigentlich wollte. Ich dachte, ich würde dann unabhängig sein.“
„Aber wie konnten Sie das denken?“ fragte er. „Wo MacFarlane doch einen Sohn hatte . . .“
„Ich wusste überhaupt nicht, dass MacFarlane Kinder hatte, als ich ihn heiratete“, erwiderte sie angespannt, bevor ihre Miene weich wurde. „Ich hatte keine Ahnung.“
Die Heftigkeit, mit der sie gesprochen hatte, ergab keinen Sinn. Wenn Fia Carr so sehr verachtete, warum war sie dann so oft in seiner Gesellschaft? Carr ließ Fia vor der feinen Gesellschaft paradieren wie ein Pferdehändler eine erstklassige Stute. Thomas runzelte die Stirn, und etwas in seinen Gedankengängen passte mit einem Mal viel besser zusammen, als es sollte.
Neben ihm wandte sich Fia in Gedanken angenehmeren Überlegungen zu. Kay und Cora. Wie wenig sie die beiden in den ersten paar Wochen in Bramble House gemocht hatte. Aber ihre Abneigung und ihre Vorbehalte waren schwächer geworden und schließlich ganz verschwunden, die leere Stelle, die sie hinterließen, füllte sich rasch mit etwas anderem, einem ungenannten und bis dahin unbekannten Gefühl. Lange Zeit
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