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Fiasko

Fiasko

Titel: Fiasko Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Wundergeschichten vertreibst du dir die Zeit? Jetzt?“ fragte der Ankömmling, der das Spektakel gelöscht hatte und sich nun mit einiger Mühe der bauschigen, durchsichtigen Folie zu entledigen suchte, die seinen bis zum Hals zugeknöpften, flaumigen Overall bedeckte. Da er die Füße mit den metallisch glänzenden Stiefeln nicht aus der Folie brachte, zerriß er diese schließlich, knüllte sie zusammen und warf sie beiseite. Dann fuhr er sich mit dem Daumen über die Brust, wovon sich der Overall weit öffnete. Der Mann war jünger und kleiner als Gerbert, sein kragenloses Hemd gab einen muskulösen Hals frei. „Es ist erst ein Uhr. Wir waren für zwei Uhr verabredet, und die Histogramme kenne ich ohnehin auswendig.“ Gerbert, wohl ein wenig verlegen, hielt den Stoß Aufnahmen hoch. Der andere öffnete seine dicken Stiefelschäfte, schlappte zu einer um die Wände laufende Metalleiste und ließ so schnell, als blätterte er ein Kartenspiel unter den Fingern durch, die holographischen Bilder des Gastmahls rückwärts laufen: eine Ebene mit einer Gruppe spitzer Kalksteinfelsen, die im Mondlicht gespenstisch aussahen wie das Skelett einer Fledermaus, sonnendurchschienener Urwald mit dem bunten Geflatter der Schmetterlinge in den Lianen und schließlich sandiges Wüstenland mit hohen Termitenbauten. Das erschien von überallher gleichzeitig, umgab die beiden Männer und verschwand unter dem nächsten Bild. Gerbert wartete geduldig ab, daß sein Kollege dieser Vorführung überdrüssig wurde. In dem flimmernden Wechselspiel von Lichtern und Farben hielt er die Mappe mit den Histogrammen in der Hand und war in Gedanken schon weit weg von dem Schauspiel, mit dem er wohl die innere Unruhe zu unterdrücken versucht hatte. „Hat sich irgendwas geändert?“ fragte er schließlich. „Was?“
       Sein jüngerer Kollege gab dem Raum das asketische Äußere zurück und brummelte, etwas undeutlich, mit ernst gewordenem Gesicht: „Nein, nein, geändert hat sich nichts. Nur Arago hat mich gebeten, mit dir noch vor der Beratung zu ihm zu kommen.“
       Gerbert blinzelte, er schien unliebsam überrascht. „Und was hast du ihm gesagt?“
       „Daß wir kommen werden. Was guckst du denn so? Paßt dir der Besuch nicht?“
       „Ich bin nicht gerade begeistert. Klar, abschlagen konntest du es ihm nicht, aber das Problem ist auch ohne theologische Zutaten beschissen genug. Hat er gesagt, was er von uns will?“
       „Nein. Der Mann ist aber nicht nur anständig, sondern auch klug. Und diskret.“
       „Also wird er uns diskret zu verstehen geben, daß wir Kannibalen sind.“
       „Quatsch. Außerdem werden wir nicht vor Gericht stehen, wir haben die Leute an Bord genommen, um sie wieder zum Leben zu bringen. Er weiß das auch sehr gut.“
       „Weiß er auch das mit dem Blut?“
       „Keine Ahnung. Ist das so schrecklich? Transfusionen werden seit zweihundert Jahren gemacht.“
       „In seinen Augen wird das keine Transfusion, sondern mindestens Leichenschändung sein. Die Beraubung von Leichen.“
       „Denen ohnehin nicht mehr zu helfen ist. Transplantationen sind so alt wie die Welt, ich kenne mich mit den Religionen nicht aus, seine Kirche jedenfalls hat nie etwas dagegen einzuwenden gehabt. Wo kommen bei dir überhaupt auf einmal solche Skrupel her — vor einem Geistlichen, einem Mönch? Der Kommandant ist einverstanden, die Mehrheit, wenn nicht alle, ebenfalls. Arago hat nicht einmal Stimmrecht. Er fliegt mit uns als vatikanischer oder apostolischer Beobachter, als Passagier und Zuschauer.“
       „So sieht sich das an, Viktor, aber die Histogramme haben eine peinliche Überraschung ergeben. Man hätte nicht zulassen dürfen, daß diese Leichen auf die EURYD1KE gebracht wurden. Ich war dagegen.
       Warum hat man sie nicht auf die Erde überführt?“
       „Das weißt du doch selber: Es hat sich so gefügt. Außerdem war ich stets der Ansicht, daß unser Flug wenn überhaupt jemandem, dann ihnen zusteht.“
       „Da werden sie viel davon haben, wenn sich nur einer reanimieren läßt — auf Kosten der anderen.“ Viktor Terna sah Gerbert mit runden Augen an. „Was ist denn mit dir los? Komm doch zu dir, ist es denn unsere Schuld? Auf dem Titan gab es keine Voraussetzungen, eine Diagnose zu stellen. Stimmt das oder nicht? Sag mir das auf der Stelle, ich will wissen, mit wem ich eigentlich zu diesem Dominikaner gehe. Hast du dich zum Glauben deiner Vorväter bekehrt?

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