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Fiasko

Fiasko

Titel: Fiasko Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Was siehst du in dem, was wir tun, was wir verlangen müssen? Etwas Böses? Eine Sünde?“
       Gerbert, der bisher ruhig geblieben war, hielt auch jetzt seinen Arger zurück.
       „Du weißt ganz genau, daß ich das gleiche Verlangen werde wie du und der Chefarzt, und du kennst meine Meinung. Die Resurrektion ist nichts Böses. Das Böse liegt darin, daß sich von zwei Wiederbelebungsfähigen nur einer wiederbeleben läßt und daß uns niemand die Wahl zwischen beiden abnimmt…
       Komm, es ist schade um die Zeit. Ich will das hinter mir haben.“
       „Ich muß mich noch umziehen. Wartest du so lange?“
       „Nein, ich gehe inzwischen zu ihm. Du kommst dann nach. Welches Deck ist das?“
       „Das dritte im Mittelteil. Ich komme in fünf Minuten.“ Sie verließen gemeinsam den Raum, bestiegen aber verschiedene Lifts. Gerbert drückte die entsprechenden Ziffern, das eiförmige Gefährt mit dem silbrigen Innenraum schoß vorwärts und bremste weich, die konkave Wand öffnete sich spiralförmig wie die Blende eines Fotoapparats. Gegenüber lief in einem Lichtschein, dessen Quelle nicht festzustellen war, eine Reihe ebenfalls hohlgewölbter Türen entlang. Ihre Schwellen waren hoch wie auf alten Schiffen. Gerbert machte die Nummer 84 ausfindig, die ein kleines Schild trug: „R. P. Arago, M. A., Ph., D. D. A.“ Ehe er noch eine Erwägung anstellen konnte, ob sich unter den beiden letzten Buchstaben der „Delegierte des Apostolischen Stuhls“ oder ein doctor angelicus verbarg (der Gedanke war so dumm wie unpassend), ging die Tür auf. Er trat in eine geräumige Kajüte, die ringsum von verglasten Bücherregalen eingefaßt war.
       An zwei gegenüberliegenden Wänden befanden sich hellgerahmte Bilder, die von der Decke bis zum Fußboden reichten: zur Rechten Cranachs Baum der Erkenntnis mit Adam, Eva und der Schlange, zur Linken Boschs Versuchung des heiligen Antonius.
       Ehe er sich die über den Himmel dieser Versuchung ziehenden Scheusale näher ansehen konnte, gab der hinter die Bücherwände gesogene Cranach einen Durchgang frei, in dem Arago erschien. Er trug eine weiße Kutte, und bevor das Bild wieder seine Funktion als Tür einnahm, erblickte der Arzt auf dem weißen Grund hinter dem Dominikaner ein schwarzes Kreuz.
       Sie begrüßten einander mit einem Händedruck und setzten sich an einen niedrigen Tisch, auf dem Papiere, Diagramme und aufgeschlagene Bände mit bunten Buchzeichen wüst durcheinanderlagen. Arago hatte ein schmales, fast dunkelbraunes Gesicht mit durchdringenden grauen Augen unter nahezu weißen Brauen. Die Kutte schien ihm zu weit zu sein. Seine sehnigen Pianistenhände hielten ein gewöhnliches hölzernes Metermaß.
       Gerbert ließ seinen Blick nachlässig über die Rücken der alten Bücher schweifen, er hatte keine Lust, als erster zu reden. Er wartete auf Fragen, die jedoch nicht fielen. „Doktor Gerbert, ich kann mich im Wissen nicht mit Ihnen messen, aber ich kann mich mit Ihnen in der Sprache Äskulaps verständigen. Ich war Psychiater, bevor ich dieses Kleid anlegte. Der Chefarzt hat mir die Daten dieser — Operation zugänglich gemacht. Was sie aussagen, ist perfide. Wegen der Unvereinbarkeit der Blut- und Gewebegruppen kommen zwei Männer in Frage, aber nur einer kann belebt werden.“
       „Oder gar keiner“, entfuhr es Gerbert fast gegen seinen Willen, wohl deswegen, weil der Mönch den passenderen Begriff „Auferweckung von den Toten“ vermieden hatte. Der Dominikaner durchschaute das sofort. „Ein Distinguo, das mir etwas bedeutet, dürfte für Sie nicht zählen. Ein Disput auf eschatologischer Höhe ist gegenstandslos. Jemand wie ich würde an meiner Stelle sagen, wirklich tot sei ein Mensch in Verwesung, nach Veränderungen im Körper, die nicht rückgängig zu machen sind. Und solcher Menschen befänden sich an Bord sieben. Ich weiß, daß ihre sterblichen Überreste angetastet werden müssen, und ich verstehe die Notwendigkeit, die zu billigen ich nicht das Recht habe. Von Ihnen, Doktor, und von Ihrem Freund, der gleich hier erscheinen wird, will ich die Antwort auf eine einzige Frage. Sie können sie mir verweigern.“
       „Bitte“, sagte Gerbert. Er fühlte eine plötzliche Starre. „Sie werden es sich denken können. Es geht um die Kriterien der Auswahl.“
       „Terna wird Ihnen da nichts anderes sagen als ich. Über objektive Kriterien verfügen wir nicht. Da Sie sich mit den Daten vertraut gemacht haben,

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