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Fiasko

Fiasko

Titel: Fiasko Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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sachliche Grundlagen. Keiner von uns besitzt sie. Die zeitliche Nähe all jener Erscheinungen weist jedoch darauf hin, daß sie miteinander in Zusammenhang stehen.“
       „Der Wert dieser Hypothese ist ebenfalls negativ“, bemerkte einer der Physiker.
       „Das glaube ich nicht. Eine Reihe von Unbekannten auf einen gemeinsamen unbekannten Nenner zu bringen, ist kein Verlust, sondern ein Gewinn an Information…“, meinte Lauger lächelnd.
       „Ich bitte um mehr“, wandte sich der Kommandant an ihn. Lauger stand auf.
       „Ich will sagen, soviel ich vermag. Ein Kleinkind, das lächelt, tut dies Prämissen gemäß, die es mit auf die Welt gebracht hat. Von solchen Prämissen gibt es, statistisch gesehen, eine Unzahl: daß die rosaroten Flecke, die es mit seinen Augen sieht, menschliche Gesichter sind, daß die Leute gewöhnlich positiv auf ein Kinderlächeln reagieren und so weiter.“
       „Worauf willst du hinaus?“
       „Darauf, daß alles immer auf bestimmten Voraussetzungen aufbaut, mag man sich vorwiegend auch nur stillschweigend daran halten. Die Diskussion dreht sich um Vorfälle, die als Serie voneinander unabhängiger Ereignisse wenig wahrscheinlich aussehen. Die Blitze, die chaotisch gewordene Emission, Veränderungen der Albedo, Plasma auf dem Mond. Woher kommt das? Aus der Tätigkeit einer Zivilisation. Wird es dadurch erklärt? Nein, im Gegenteil, es wird verdunkelt, da wir stillschweigend vorausgesetzt hatten, wir würden uns in den Handlungen der Quintaner auskennen. Ich erinnere daran, daß man einst im Vergleich mit der Erde den Mars für alt und die Venus für jung hielt: die Urväter unserer Astronomen setzten unwillkürlich voraus, daß die Erde genauso wie Mars und Venus sei, nur jünger als der erstere und älter als die letztere. Daraus folgten dann die Kanäle des Mars, die wilden Dschungel der Venus und alles übrige, bis man alles zu den Märchen legen mußte. Ich glaube, daß nichts sich unvernünftiger verhalten kann als die Vernunft. Auf der Quinta kann eine Vernunft am Werke sein — ich nehme eher an, daß es mehrere sind: uns aber jedenfalls unerreichbar wegen der Verschiedenartigkeit der Absichten…“
       „Krieg?“ Die Frage kam aus dem Saal.
     
       Lauger, immer noch stehend, fuhr fort: „Krieg ist kein Begriff, der ein für allemal einen Komplex von Konflikten mit zerstörerischer Resultante in sich schließt. Kommandant, mach dir keine Hoffnung, allseitig unterrichtet zu werden.
       Da wir weder die Ausgangs- noch die Grenzbedingungen kennen, wird nichts die Unbekannten in Bekannte verwandeln. Den HERMES können wir nicht anders warnen als durch den Rat, auf der Hut zu sein. Willst du einen präziseren Ratschlag?
       Ich sehe ihn nur in einer Alternative: Das Wirken der Vernunftbegabten ist entweder unvernünftig — oder unverständlich, weil nicht einzuordnen in die Kategorien unseres Denkens. Das aber ist nur meine Ansicht, mehr nicht.“

VI
Die Quinta
       Vor dem Abtauchen meldeten die Radargeräte ein letztes Mal den HERMES: Er folgte am Himmelsgewölbe einer gewaltigen hyperbolischen Bahn und stieg immer hoher über den Schlauch der galaktischen Spirale, um im Hochvakuum mit lichtnaher Geschwindigkeit weiterzufliegen. Das Funkecho kam in zunehmenden Abständen — ein Zeichen, daß der HERMES den Wirkungen der Relativität unterlag und seine Bordzeit immer mehr von der der EURYDIKE abwich. Die Verbindung zwischen dem Aufklärer und dem Mutterschiff riß endgültig ab, als die Signale des automatischen Senders die Wellenlänge vergrößerten, sich zu kilometerlangen Bändern dehnten und schwanden. Das letzte verzeichnete der empfindlichste Indikator siebzig Stunden nach dem Start, als der Hades, von dem selbstmörderischen ORPHEUS getroffen, bereits in der Gravitationsresonanz bebte und die temporären Schlünde geöffnet hielt. Für viele Jahre mußte nun unbekannt bleiben, was immer dem Aufklärer und den in ihm eingeschlossenen Menschen zustieß. Den Schläfern im Embryonator wurde der Flug nicht lang, ihr Zustand war dem Tode ähnlich, bar sogar aller Träume, die ein Gefühl der verfließenden Zeit hätten geben können. Über den weißen Sarkophagen im Tunnel des Embryonators schien durch das Panzerglas des Periskops Alpha Harpyiae, ein blauer Riese, von den anderen Sternen der Konstellation weggeschossen durch eine seiner eigenen, asymmetrischen Explosionen — er war eine junge Sonne und hatte sich nach der nuklearen

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