Fida (German Edition)
sie sich rasch für ihr Drängeln, kann es aber trotzdem nicht lassen, ihn zur Eile anzuhalten. Dann setzt sie noch hinterher: „Ach, und das Herz – das hätte ich sehr gerne wieder, wenn sie mit dem Auswerten der Bilder fertig sind!“
„Ja, natürlich“, nickt Likar, „wir werden sie selbstverständlich auf dem Laufenden halten und natürlich bekommen sie das Schmuckstück zurück, wenn es nicht mehr als Beweismittel benötigt wird.“
Na prima, das kann dauern, schießt es Tatjana durch den Kopf.
„Aber jetzt, Frau Wenz“, komplimentiert Likar sie mit seinem nächsten Satz hinaus, „müssen sie mich bitte entschuldigen. Ich bin nun etwas mehr als ohnehin schon im Verzug mit meiner Arbeit. Der nächste Termin wartet bereits. Ich begleite sie noch nach unten.“
Tatjana verkneift sich den Kommentar, dass eine gestohlene Handtasche oder was auch immer das nächste, große Delikt ist, das ihn nun erwartet, sicherlich einen Moment warten kann, wenn es um ein vermisstes Kind geht. Wie schon beim ersten Mal, als sie mit ihm zu tun hatte, entnervt es sie völlig, dass er scheinbar die Ruhe weg hat, obwohl sie selbst dringenden Handlungsbedarf sieht. Doch was würde es nützen, sich mit ihm anzulegen? Es könnte ihn nur gegen sie aufbringen und würde seine Arbeit, das unterstellt sie ihm nun einfach, sicher nicht beschleunigen. Tatjana greift nach ihrer eigenen Tasche und geht an ihm vorbei durch die Tür hinaus, die er ihr schon ungeduldig aufhält. Gemeinsam steigen sie die Treppen hinunter. Unten sitzt immer noch der unangenehm riechende Mann, der inzwischen ebenfalls reichlich ungeduldig wirkt, wie man an seinen zappeligen Beinen unschwer erkennen kann. Am Fuß der Treppe verabschiedet Likar sich von ihr und dreht sich danach zu dem Mann um, dessen strenger Geruch schwer in der Raumluft hängt. Während sie schnell nach draußen geht und dort erst mal tief durchatmet, bekommt sie noch mit, wie er ihn wenig begeistert begrüßt. Das hebt ihre Laune und auch ihre Mundwinkel. Geschieht ihm recht, dass ER seine Zeit jetzt mit dem Stinkbär verbringen muss! Dieser Gedanke muntert sie ein ganz kleines bisschen auf.
Im Bus, unterwegs nach Hause, sieht sie aus dem Fenster, denkt an alles und nichts zugleich. Vor allem versucht sie, an möglichst nichts zu denken. Nicht an Jochen, nicht an Laura und schon gar nicht an Wacholski, den Likar wie eine Waffe gegen sie verwendet hatte, um sie zum Schweigen zu bringen. Zumindest war ihr das so vorgekommen.
Als sie an dem verlassenen Gelände und dem vernagelten, verrammelten Haus vorbeifahren, fällt ihr ein Fahrrad ins Auge, das an der Mauer lehnt. Nicht vorn an der Straße, sondern seitlich. Tatjana sitzt ganz vorne im Bus, sieht es, als sie auf das Haus zufahren. Es fällt ihr ins Auge, weil es nicht alt und verrostet aussieht, sondern neu. Weil es in dieser verlotterten Umgebung wie ein Fremdkörper wirkt, wie etwas das da nicht hingehört. Und vor allem wegen seiner auffälligen Lackierung.
Kapitel 17
20. Juni 2012
„Ich meine es ernst. Du darfst noch heute hier raus und deine Mutter sehen. Aber vorher musst du mich um etwas bitten…“ Lauras Augen weiteten sich vor Entsetzen, als sie begriff, wovon er sprach. Doch die Chance auf Freiheit, ein Ende des Martyriums, das Wiedersehen mit ihrer Mutter – wenn Tom wirklich hielt, was er versprach, war das nicht das Opfer wert? Was für eine Wahl hatte sie schon? Irgendwann würde er sie ja doch dazu zwingen. Ertragen müsste sie es so oder so. Aber wenn er Wort hielt, sie nur noch diese eine Sache über sich ergehen lassen musste, damit sie endlich wieder nach Hause konnte…
„Fida, ich sehe dir an, dass du ganz genau verstanden hast, was du für mich tun musst.“, übte er noch mehr Druck auf sie aus. „Habe ich dich jemals angelogen? Oder eins meiner Versprechen gebrochen?“
Zögernd schüttelte Laura den Kopf. Nein, bisher hatte er alles, was er ihr zusagte auch wahr gemacht. Nur versprach er ihr meistens nichts Gutes. Ab und zu war es eine Pizza, neue Batterien, oder ein bisschen Obst, das er ihr am nächsten Tag mitbrachte. In der Mehrzahl der Fälle versprach er ihr jedoch Dinge, an die sie sich noch lange, aber nur ungern erinnerte.
„Ich verspreche dir, diese kleine Lektion wirst du so schnell nicht vergessen!“, war eines von jenen Versprechen, auf dessen Erfüllung sie gerne verzichtet hätte. Doch ihre Mutter wiederzusehen, selbst wenn es ihr schwer fiel, ihm zu glauben, war zu
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