Fieber an Bord
unter den Augen, was Bolitho schmerzlich berührte.
»Ein Gast, meine Liebe.« Raymond erhob sich halb, ließ sich aber gleich wieder zurücksinken.
Auch ein rotröckiger Hauptmann der Miliz, der mit seinem Kommando die Sträflinge an Bord bewachte, folgte Borlase in die Kajüte. Ohne die geringste Ahnung von der dramatischen Situation strahlte er Bolitho und den Wein an: noch ein Zeuge.
Bolitho ging durch die Kajüte und ergriff Violas Hand. Als er sie an die Lippen hob, blickte er ihr ins Gesicht.
Leise sagte sie: »Ich freue mich, Sie wiederzusehen, Captain.« Sie warf den Kopf zurück. »Es ist lange her.«
»Auf das Wohl des Königs!« Borlases Stimme klang, als würge seine Halsbinde ihn. Er wenigstens erriet, was hier vorging.
»Auf den König!« Raymond nippte an seinem Glas. »Wenn ich meinen Auftrag hier erfüllt habe, wird man im Palast von St. James vielleicht bereit sein, mir eine angemessene Position in London anzubieten.«
Bolitho beobachtete ihn. Wieder ein Hinweis für Borlase und den Hauptmann, daß Raymond ein einflußreicher Mann war und keiner, den man gegen sich aufbringen sollte. Überraschenderweise dachte Bolitho plötzlich an seinen toten Bruder Hugh, der immer hastig in seinen Reaktionen gewesen war, immer vorprellte. In dieser Situation hätte er höchstwahrscheinlich nach einem »Ehrengrund« gesucht, der es ihm ermöglichte, Raymond zum Duell zu fordern. Er hätte sich nicht damit aufgehalten, die Konsequenzen zu bedenken.
Bolitho bemerkte, daß Viola quer durch den Raum gegangen war und Raymond absichtlich den Rücken kehrte. Sie fragte: »Kennen Sie diese Inseln, Captain?« Aber ihre Blicke erforschten sein Gesicht, seinen Ausdruck; verzehrten ihn.
»Ein wenig. Mein Steuermann ist besser informiert.« Er senkte die Stimme. »Bitte schonen Sie sich, wenn Sie an Land sind. Das Klima ist grausam, selbst für jemanden wie Sie, der weite Reisen gewöhnt ist.«
»Pardon, das habe ich nicht verstanden.« Raymond stand auf und stieß gegen den Schreibtisch, als das Schiff krängte. Dann fügte er hinzu: »Ich glaube, der Wind frischt auf, Captain.«
Bolitho sah ihn kalt an. »Ja. Mr. Borlase, würden Sie bitte nach meiner Gig signalisieren?«
Unter der Tür zögerte er. Er wußte, daß er geschlagen war, noch ehe der Kampf richtig begonnen hatte.
Raymond nickte kurz. »Ich hoffe, daß der Wind günstig bleibt.« Und dann lächelnd: »Warum begleitest du den tapferen Kapitän nicht zu seinem Boot, meine Liebe?«
An Deck herrschte drückende Hitze, und der Seegang war stärker geworden. Die Tempes t stand in Luv, ihre Segel killten unordentlich, als sie beigedreht auf seine Rückkehr wartete. Das französische Schiff war bereits weit entfernt, mit prall gefüllten Segeln offensichtlich unterwegs zu seinem ursprünglichen Ziel.
Bolitho sah das alles und nahm doch nichts davon wahr.
Er stand vor dem Schanzkleid, blickte ihr in die Augen und sah, wie sich ihr Haar löste und wie flüssige Bronze im Wind wehte.
»Ich ertrage es nicht, Viola. Ich komme mir vor wie ein Verräter. Ein Possenreißer.«
Sie legte ihm eine Hand auf den Arm. »Er reizt dich nur. Aber du bist so viel stärker.« Sie hob die Hand zu seinem Gesicht, ließ sie aber vorher sinken. »Mein geliebter Richard. Ich kann es nicht ertragen, dich so traurig zu sehen, so verzweifelt. Ich bin noch voller Glück über unser Wiedersehen. Nun können wir gewiß nicht wieder getrennt werden. Nie wieder.« Sie hob das Kinn. »Lieber wollte ich sterben.«
»Boot längsseit, Sir!«
Raymonds Schritte scharrten über Deck, und Bolitho sah, daß er sie von der Kampanje her beobachtete.
Sie jetzt einfach in die Arme reißen zu können, und zur Hölle mit Raymond und allen anderen! Noch als er das dachte, versagte Bolitho sich diesen Traum. Raymond würde alle Macht einsetzen, um sie hier draußen festzuhalten. Wie eine schöne Gefangene, ein Stück Besitz. Bolitho lüftete den Hut, das Haar wurde ihm in die Stirn geweht. »Hab' Geduld, Liebste. Noch bin ich nicht soweit, daß ich zurückschlagen kann.«
Dann kletterte er mit einem Kopfnicken für Borlase in das schwankende Boot hinab.
Kurzer Aufschub
Bolithos Schätzung, wann die größte Insel der Levu-Gruppe in Sicht kommen würde, war zutreffender gewesen, als er selbst erwartet hatte. Die Überfahrt von Sydney hatte sechsundzwanzig Tage gedauert. Die ersten Stunden in der Bucht waren für jeden an Bord der Tempes t sehr arbeitsreich, denn abgesehen von der Aufgabe, einen
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