Fiebertraum
Durst. Aber Simon machte mich darauf aufmerksam, daß ein solcher Name wahrscheinlich jeden Angehörigen unserer Rasse anlocken würde, der den Namen hört.
Das wäre meine Geschichte, jedenfalls fast. Die Wahrheit, auf der Sie bestanden haben. Sie waren auf Ihre Art ehrlich zu mir, und ich glaube Ihnen, wenn Sie sagen, daß Sie nicht abergläubisch sind. Wenn meine Träume wahr werden sollen, dann muß irgendwann eine Zeit kommen, in der Tag und Nacht sich über dem Zwielicht der Angst, die zwischen uns liegt, die Hand reichen. Es muß eine Zeit des Wagnisses anbrechen. Das alles soll jetzt bei Ihnen liegen. Meine Träume und Ihre, unser Dampfschiff, die Zukunft meines Volkes und des Ihren, Vampire und Vieh - ich überantworte sie Ihrem Urteil, Abner. Wie wird es ausfallen? Vertrauen oder Furcht? Blut oder edler Wein? Freunde oder Feinde?«
KAPITEL FÜNFZEHN
An Bord des Raddampfers Fiebertraum New Orleans, August 1857
I n der lastenden Stille, die auf Joshuas Geschichte folgte, konnte Abner Marsh seinen eigenen stetigen Atem und das dumpfe Schlagen seines Herzens spüren, das in der Brust die Arbeit verrichtete. Joshua hatte stundenlang erzählt, so schien es, aber in der dunklen Abgeschiedenheit der Kabine gab es keinerlei Hinweis auf das Verstreichen der Zeit. Draußen mochte es längst wieder hell werden. Toby bereitete das Frühstück vor, die Kabinenpassagiere unternahmen ihren Morgenspaziergang auf der Promenade des Batteriedecks, am Anlegeplatz herrschte hektische Betriebsamkeit. Aber in Joshua Yorks Kabine regierte weiterhin tiefe Nacht, tagaus, tagein, ewig.
Die Worte dieses verdammten Gedichts kamen ihm wieder in den Sinn, und Abner Marsh hörte sich sagen: »Der Morgen kam und ging und brachte doch keinen Tag.«
» Finsternis «, sagte Joshua leise.
»Und so haben Sie Ihr ganzes verdammtes Leben zugebracht«, sagte Marsh. »Kein Morgen, niemals. Mein Gott, Joshua, wie haben Sie das ertragen?«
York gab darauf keine Antwort.
»Es ergibt irgendwie keinen Sinn«, sagte Marsh. »Es ist die gottverdammteste Geschichte, der ich je ruhig zugehört habe. Aber ich will verdammt sein, wenn ich Ihnen nicht glaube.«
»Ich hatte es gehofft«, sagte York. »Und was nun, Abner?«
Jetzt kommt der schwierige Teil, dachte Abner Marsh. »Ich weiß nicht«, erwiderte er ehrlich. »Da sind alle die Leute, die Sie getötet haben, wie Sie sagen, und ich habe trotzdem irgendwie Mitleid mit Ihnen. Ich weiß nicht, ob das richtig ist. Vielleicht sollte ich versuchen, Sie zu töten. Vielleicht wäre das die einzige verdammte christliche Sache, die erledigt werden sollte. Vielleicht sollte ich auch versuchen, Ihnen zu helfen.« Er schnaubte, ärgerte sich über diesen inneren Zwiespalt. »Ich denke, Ihnen sollte ich erst einmal noch eine Weile zuhören und abwarten, ehe ich einen Entschluß fasse. Denn Sie haben etwas weggelassen, Joshua. Das haben Sie ganz gewiß getan.«
»Tatsächlich?« meinte York.
»New Madrid«, sagte Abner Marsh beharrlich.
»Das Blut an meinen Händen«, meinte Joshua. »Was soll ich dazu sagen, Abner? Ich habe jemanden in New Madrid getötet. Aber es war nicht so, wie Sie vielleicht vermuten.«
»Dann erzählen Sie, wie es war. Los, reden Sie!«
»Simon hat mir viele Dinge aus der Geschichte unseres Volkes erzählt; von unseren Geheimnissen, unseren Sitten, unserer Art. Eine Sache, die er erwähnte, fand ich überaus beunruhigend. Diese Welt, die Ihr Volk geschaffen hat, ist eine Welt des Tageslichts, und es ist für uns nicht so einfach, darin zu leben. Manchmal, um es uns zu erleichtern, wendet einer von uns sich an einen von euch. Wir können dazu die Kraft einsetzen, die in unseren Augen und in unserer Stimme verborgen ist. Wir können unsere Stärke, unsere Vitalität, die Gewißheit des ewigen Lebens zu Hilfe nehmen. Wir können die Legenden, die Ihr Volk sich über uns erzählt, zu unserem eigenen Vorteil nutzen. Mit Lügen und Angst und Verheißungen können wir uns einen menschlichen Knecht schaffen. Eine solche Kreatur kann sehr nützlich sein. Der Knecht kann uns bei Tag beschützen, kann dorthin gehen, wohin wir nicht gelangen können, und sich ohne Argwohn zu erwecken unter den Menschen aufhalten.
In New Madrid hat es einen Mord gegeben. Auf eben dem Holzplatz, wo wir angelegt haben. Nach allem, was ich darüber in den Zeitungen gelesen habe, hegte ich große Hoffnungen, jemanden von meiner eigenen Rasse zu finden. Statt dessen fand ich - nun, nennen Sie ihn, wie
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