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Fiebertraum

Fiebertraum

Titel: Fiebertraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R.R. Martin
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sich, und so kommt es, daß wir unsere fernen Vettern töten und uns verbergen müssen, wenn die Sonne aufgeht, da die Sonne das Gesicht Gottes ist. Wir sind sehr langlebig, wie es alle Menschen in den ersten Tagen waren, die in Ihrer Bibel beschrieben werden, aber unser Leben ist verflucht und muß in Angst und Dunkelheit gefristet werden. Viele von meiner Rasse waren gläubig gewesen, erfuhr ich. Andere hielten sich an andere Mythen, einige glaubten sogar die Vampirgeschichten, die sie gehört hatten, und betrachteten sich selbst als die unsterblichen Avataras des Bösen.
    Ich lauschte den Geschichten von längst verschwundenen Vorfahren, von Kämpfen und Verfolgungen, von unseren Wanderungen. Smith erzählte mir von einer großen Schlacht in den einsamen Gebieten des Baltikums vor tausend Jahren, als ein paar hundert Vertreter meiner Rasse sich bei Nacht auf eine Horde von Tausenden stürzten, so daß die Sonne über einer Walstatt voller Blut und Leichen aufging. Ich wurde an Byrons ›Sennacherib‹ erinnert. Simon sprach vom strahlenden alten Byzanz, wo viele Angehörige unserer Rasse gelebt und sich im Laufe der Jahrhunderte gut entwickelt hatten, unsichtbar in der riesigen, belebten Stadt, bis die Kreuzzüge begannen, plünderten und vernichteten und viele von uns auf den Scheiterhaufen warfen. Sie trugen das Kreuz, diese Invasoren, und ich fragte mich, ob vielleicht das die wahre Legende ist, daß meine Rasse dieses christliche Symbol fürchtet und verabscheut. Von allen erfuhr ich die Legende von einer Stadt, die wir gebaut hatten, einer riesigen Stadt der Nacht, erbaut aus Eisen und schwarzem Marmor in riesigen Höhlen im Herzen Asiens, an den Ufern eines unterirdischen Flusses und Sees, den nie das Licht der Sonne berührt hatte. Lange vor Rom oder sogar Ur war unsere Stadt schon groß gewesen, wie alle beschworen, in klarem Widerspruch zu der Geschichte, die sie mir vorher erzählt hatten und nach der wir nackt durch mondbeschienene Winterwälder gelaufen sein sollen. Dem Mythos nach waren wir wegen irgendeines Vergehens aus unserer Stadt vertrieben worden, waren Tausende von Jahren lang sinn- und ziellos umhergewandert. Aber die Stadt war immer noch da, und eines Tages würde unserem Volk ein König geboren, ein Blutmeister, größer als jeder, der vorher existiert hatte, einer, der unsere verstreut lebende Rasse sammeln und uns in die Stadt der Nacht am Ufer des sonnenlosen Sees zurückführen würde.
    Abner, von allem, was ich hörte und lernte, übte diese Geschichte die nachhaltigste Wirkung auf mich aus. Ich bezweifle, daß eine so riesige unterirdische Stadt existiert, bezweifle, daß sie je existiert hat, aber allein das Vorhandensein einer solchen Geschichte bewies mir, daß mein Volk nicht die bösen und leeren Vampire der Schauermärchen sein konnte. Wir hatten keine eigene Kunst, keine Literatur, noch nicht einmal eine Sprache - aber die Geschichte zeigte, daß wir die Fähigkeit zu träumen, zur Phantasie besaßen. Wir hatten nie etwas gebaut, nie etwas geschaffen, wir haben unsere Kleidung stets gestohlen und haben in euren Städten gelebt und uns an eurem Leben gütlich getan, an eurer Lebendigkeit, an eurem Blut - aber auch wir könnten etwas schaffen, wenn wir die Gelegenheit bekämen, es steckt in uns, uns Geschichten von unseren eigenen Städten zu erzählen. Der rote Durst ist ein Fluch gewesen, hat unsere beiden Rassen zu Feinden gemacht, hat mein Volk aller edlen Absichten beraubt. Richtig, das Zeichen Kains.
    Wir hatten auch unsere großen Führer, Abner, echte und eingebildete Blutmeister in den vergangenen Jahrhunderten. Wir hatten unsere Caesars, unsere Salomons, unsere Täufer. Aber wir warten auf unseren Erlöser, wissen Sie, wir warten auf unseren Jesus Christus. Zusammengedrängt in den Ruinen der verfallenen Burg und dem Heulen des Windes draußen lauschend, tranken Simon und die anderen mein Gebräu und musterten mich mit ernsten, fiebrigen Augen, und ich begriff, was sie denken mußten. Jeder von ihnen war Hunderte von Jahren älter als ich, aber ich war der stärkere, ich war der Blutmeister. Ich brachte ihnen ein Elixier, das den roten Durst bannte. Ich schien zur Hälfte menschlich zu sein. Abner, sie betrachteten mich als den legendären Erlöser, den verheißenen König der Vampire. Und ich konnte es nicht leugnen. Es war meine Bestimmung, damals erkannte ich es, meine Rasse aus der Finsternis herauszuführen.
    Es gibt so viele Dinge, die ich tun möchte, Abner,

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