Fiebertraum
anstatt es mir zu erzählen.« Julians Lächeln war voller Kälte. »Und dann komm in Yorks Kabine. Wir ziehen uns dorthin zurück. Ich brauche frische Kleider.«
Sour Billy brauchte fast zwanzig Minuten, um alle Spuren des Todes auf dem Texasdeck zu entfernen. Er arbeitete voller Hast und war sich bewußt, daß jederzeit jemand aus seiner Kabine treten oder die Treppe heraufkommen konnte. Mittlerweile war es fast vollständig dunkel geworden, was ihm etwas half. Er schleifte Jeffers’ Leiche über das Deck, wuchtete sie mit einiger Mühe auf den Radkasten - der Zahlmeister war schwerer, als Billy auf den ersten Blick vermutet hatte - und schob sie über den Rand. Die Nacht und der Fluß verschlangen den Körper, und das Klatschen beim Eintauchen ins Wasser war nicht annähernd so laut wie das von Marshs Sturz. Es ging in dem Rauschen der Schaufelräder beinahe völlig unter. Sour Billy hatte soeben sein Hemd ausgezogen und begann gerade das Blut aufzuwischen, als er seinem Glück danken konnte: Das Unwetter, das sich schon während des Nachmittags angekündigt hatte, brach schließlich los. Donner dröhnte ihm in den Ohren, Blitze schlugen in den Fluß ein, und es begann zu regnen. Eine saubere, kalte, prasselnde Flut stürzte vom Himmel, spülte über das Deck, durchnäßte Billy bis auf die Knochen und wusch sämtliches Blut weg.
Sour Billy war triefnaß, als er schließlich Joshua Yorks Kabine betrat und sein einstmals so elegantes Hemd als nasses Lappenbündel in der Hand hielt. »Es ist erledigt«, meldete er.
Damon Julian saß in einem hohen Ledersessel. Er hatte frische Kleider angezogen, hielt ein Glas mit einem Getränk in der Hand und sah so kräftig und gesund aus wie eh und je. Raymond stand neben ihm, Armand besetzte den anderen Sessel, Kurt hatte im Schreibtischsessel Platz gefunden. Und Joshua York hockte auf seinem Bett, starrte auf seine Füße, ließ den Kopf hängen, und seine Haut war kreidebleich. Er sieht aus wie ein geprügelter Hund, dachte Sour Billy.
»Ach, Billy«, meinte Julian, »was täten wir ohne dich?«
Sour Billy nickte. »Ich hab’ nachgedacht, während ich draußen gearbeitet habe, Mister Julian«, sagte er. »So wie ich es sehe, haben wir zwei Möglichkeiten. Dieser Dampfer verfügt über eine Jolle, um Untiefen zu suchen und zum Loten und so weiter. Die könnten wir nehmen und von hier verschwinden. Oder jetzt, während das Unwetter tobt, können wir auch warten, bis der Lotse das Schiff irgendwo festmacht, und dann an Land gehen. Wir sind nicht weit vom Bayou Sara entfernt, vielleicht legen wir dort sogar an.«
»Ich habe gar kein Interesse am Bayou Sara, Billy. Ich habe auch keine Lust, dieses wunderbare Dampfschiff zu verlassen. Die Fiebertraum gehört jetzt uns. Ist das nicht so, Joshua?«
Joshua York hob den Kopf. »Ja«, sagte er. Seine Stimme klang so schwach, daß sie kaum zu hören war.
»Es ist zu gefährlich«, beharrte Sour Billy. »Der Kapitän und der Zahlmeister beide verschwunden, was sollen die Leute denken? Man wird sie vermissen; es werden Fragen gestellt. Und das schon sehr bald.«
»Er hat recht, Damon«, ergriff Raymond das Wort. »Ich bin seit Natchez auf diesem Dampfer. Mag sein, daß die Passagiere kommen und gehen, aber da ist immer noch die Mannschaft - wir sind hier in Gefahr. Wir sind nämlich die Fremden, die Verdächtigen, die Unbekannten. Wenn Marsh und Jeffers vermißt werden, dann werden sie sich zuerst für uns interessieren.«
»Und dann ist da noch dieser Maat«, fügte Billy hinzu. »Wenn er Marsh geholfen hat, dann weiß er alles, Mister Julian.«
»Töte ihn, Billy!«
Sour Billy Tipton schluckte krampfartig. »Angenommen, ich töte ihn tatsächlich, Mister Julian? Das nützt doch auch nicht viel. Er wird ebenfalls vermißt, und nach ihm kommen andere, eine ganze verdammte Armee von Niggern und blöden Deutschen und riesigen Schweden. Wir sind weniger als zwanzig. Und am Tag bin sowieso nur ich da. Wir müssen von diesem Dampfer verschwinden, und zwar schnellstens. Wir können uns gegen die Mannschaft nicht wehren, und selbst wenn wir es schafften, dann kann ich es auf keinen Fall allein mit allen aufnehmen. Wir müssen weg.«
»Wir bleiben. Sie sind es, die sich fürchten müssen, Billy. Wie kannst du jemals ein Meister werden, wenn du immer noch denkst wie ein Sklave? Wir bleiben.«
»Was tun wir, wenn herauskommt, daß Marsh und Jeffers verschwunden sind?« fragte Vincent. »Und was geschieht mit dem Maat? Er ist eine
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