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Fiebertraum

Fiebertraum

Titel: Fiebertraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R.R. Martin
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den Fluß im Auge hatte. Wenn sie klug waren, dann wüßten sie, wie niedrig der Flußpegel war. Sie wüßten, daß die Eli Reynolds vielleicht diese Abkürzung schaffen konnte, vielleicht aber auch nicht, aber daß sie auf jeden Fall langsame Fahrt machen müßte und auf dem ganzen Weg eine Jolle zum Loten vorausfahren müßte. Sie wüßten ganz genau, sobald sie die Biegung hinter sich hätten, daß sie sie geschlagen hätten. Und wenn sie das erkannten, dann würden sie ganz bestimmt nicht flußabwärts dampfen. Sie würden mit der Fiebertraum in der Nähe der Mündung dieser Abkürzung auf die Reynolds warten. Und unterdessen würden die Männer - oder auch Angehörige des Nachtvolks -, die sie an der Spitze der Insel abgesetzt hatten, mit einer Jolle die Flußschlinge heraufkommen, nur für den Fall, daß die Reynolds gestoppt hatte oder aufgehalten wurde. Zumindest wäre Abner Marsh so verfahren.
    Der kleine Flußabschnitt, den er sehen konnte, war noch immer leer. Er fröstelte etwas, als er wartete. Jeden Moment rechnete er damit, die Jolle zwischen den Bäumen auftauchen zu sehen, besetzt mit stummen dunklen Gestalten und bleichen grinsenden Gesichtern im Mondlicht. Er überprüfte noch einmal sein Gewehr und wünschte sich, Yoerger möge sich beeilen.
    Yoerger und Grove und die restliche Mannschaft der Eli Reynolds waren nun schon fünfzehn Minuten unterwegs, aber auf dem Fluß rührte sich nichts.
    Die Nacht war voller Geräusche. Das Wasser rauschte und gurgelte um das Wrack seines Dampfers, der Wind ließ die Bäume knarren und rascheln, Tiere riefen in den fernen Wäldern. Marsh stand auf, hielt den Finger am Abzug und schaute wachsam flußaufwärts. Es gab nichts zu sehen. Nichts als stilles Flußwasser, das über Sandbänke, knorrige Baumwurzeln, den schwarzen Baumkadaver floß, der das Schaufelrad des Dampfers zerschlagen hatte. Er sah Treibholz im Wasser und sonst nichts. »Vielleicht sind sie doch nicht so klug«, murmelte er halblaut.
    Aus dem Augenwinkel bemerkte Marsh etwas Bleiches auf der Insel auf der anderen Seite des Flusses. Er wirbelte herum, brachte das Gewehr hoch, aber da war nichts, nur schwarzer dichter Wald und schlammiges Flußufer. Sieben Meter seichtes Wasser erstreckten sich zwischen ihm und der dunklen stillen Insel. Abner Marsh atmete heftig. Was wäre, wenn sie mit der Jolle gar nicht durch den Seitenarm kämen, sondern wenn sie an Land gingen und sich von dort aus zu Fuß anschlichen?
    Die Eli Reynolds knarrte unter ihm, und Marsh wurde unruhig. Sie setzt sich nur, sagte er sich, sie liegt auf Grund und sinkt weiter im Sand ein. Aber irgend etwas in ihm flüsterte, raunte ihm zu, daß dieses Knarren auch ein Schritt, ein Fußtritt sein konnte, daß sie sich längst an ihn herangeschlichen hatten, während er den Fluß beobachtete. - Vielleicht waren sie sogar schon auf dem Schiff. Möglich, daß Damon Julian in diesem Moment die Treppe hinaufhuschte, durch die Hauptkabine schlich - er wußte, wie leise Julian sich bewegen konnte - und die Kabinen durchsuchte, sich dabei der Treppe näherte, die ihn heraufführen würden, herauf zum Sturmdeck.
    Marsh drehte den Sessel, so daß er den oberen Rand der Treppe überschauen konnte, nur für den Fall, daß plötzlich ein bleiches weißes Gesicht in Sicht kommen sollte. Seine Hände, die das Gewehr hielten, schwitzten und machten den Lauf schlüpfrig. Er wischte sie an seinem Hosenbein ab.
    Das Geräusch eines leisen Flüsterns drang durch den Treppenschacht herauf.
    Sie sind dort unten, dachte Marsh, und beraten sich, wie sie mich in ihre Gewalt bringen können. Er saß hier oben und allein in der Falle. Nicht daß die Tatsache, daß er allein war, einen besonderen Nachteil darstellte. Er hatte vorher schon einmal Hilfe gehabt, und genutzt hatte es überhaupt nichts. Es machte für sie keinen Unterschied. Marsh erhob sich und ging zum oberen Rand der Treppe und blickte hinunter in die Dunkelheit, die nur unzureichend von reflektiertem Mondlicht erhellt wurde. Er umklammerte das Gewehr, blinzelte und wartete darauf, daß irgend etwas auftauchte. Er wartete lange Zeit, lauschte dabei jenem unklaren, schwachen Flüstern, während sein Herz hämmerte wie die altersschwache Maschine der Eli Reynolds .
    Sie wollen, daß ich sie höre, dachte Abner Marsh. Sie wollen, daß ich Angst habe. Sie hatten sich wie Geister auf seinen Dampfer geschlichen, wie Todesengel, so schnell und leise, daß er sie nicht gesehen hatte, und nun

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