Fiebertraum
zu. Zweimal noch schlug ich ihn nieder, und zweimal erhob er sich wieder. Schließlich brach ich ihm das Genick, und er starb, und dann tötete ich seine Frau.
Anschließend konnte ich ihn nicht vergessen. Er mußte gewußt haben, daß ich nicht ganz menschlich war. Er mußte erkannt haben, so stark er auch war, daß er gegen meine Kraft nichts ausrichten konnte, gegen meine Schnelligkeit, meinen Durst. Ich war abgelenkt durch meine Gier und durch die Schönheit seiner Gefährtin, und ich tötete nicht auf Anhieb. Er hätte verschont werden können. Er hätte weglaufen können. Er hätte auch um Hilfe rufen können. Er hätte sich sogar wegschleichen und irgendwo eine Waffe besorgen können. Aber er tat es nicht. Er sah die Frau in meinen Armen, sah, wie ich ihr Blut trank, und er konnte an nichts anderes denken als daran, aufzustehen und sich mit seinen großen dummen Fäusten auf mich zu stürzen. Als ich Zeit zum Nachdenken fand, ertappte ich mich dabei, wie ich seine Kraft, seinen wahnwitzigen Mut und die Liebe, die er für diese Frau empfunden haben mußte, zutiefst bewunderte.
Aber, Abner, trotz allem war er dumm. Er rettete weder seine Lady noch sich selbst.
Und Sie erinnern mich an diesen Mann, Abner. Julian hat Ihnen die Fiebertraum weggenommen, und Sie können an nichts anderes denken, als sie sich zurückzuholen; daher stehen Sie auf, nehmen die Fäuste hoch und greifen an, und Julian trifft Sie und schickt Sie wieder zu Boden. Eines Tages werden Sie nicht mehr aufstehen können, wenn Sie Ihre Angriffe fortsetzen. Abner, geben Sie auf!«
»Was, zum Teufel, reden Sie da?« fragte Marsh wütend. »Es sind Julian und seine Vampire, die sich jetzt in acht nehmen müssen. Dieser gottverdammte Dampfer fährt ohne Lotsen nirgendwo mehr hin.«
»Ich kann sie steuern«, meinte Joshua York.
»Und werden Sie das tun?«
»Ja.«
Marsh fühlte sich krank und wie zerschlagen vor Wut über diesen Verrat. »Warum?« wollte er wissen. »Joshua, Sie sind doch gar nicht wie die anderen!«
»Doch, das bin ich, wenn ich nicht zurückkehre«, erklärte York ernst. »Wenn ich nicht mein Elixier habe, dann wird der Durst mich wieder heimsuchen, und das noch viel heftiger nach den ganzen Jahren, in denen ich ihn unter Kontrolle halten konnte. Und dann werde ich töten und trinken und genauso sein wie Julian. Und wenn ich das nächstemal zu nächtlicher Stunde ein Schlafzimmer betrete, dann nicht, um mich zu unterhalten.«
»Dann kehren Sie nur zurück! Holen Sie sich Ihr verdammtes Getränk! Aber bewegen Sie den Dampfer nicht von der Stelle, nicht eher jedenfalls, als bis ich ebenfalls dort erscheine.«
»Mit bewaffneten Männern. Mit angespitzten Holzpflöcken und Haß im Herzen. Um zu töten. Das werde ich nicht zulassen.«
»Auf wessen Seite stehen Sie dann?«
»Auf der Seite meines Volks.«
»Also auf Julians Seite«, zischte Marsh und spuckte aus.
»Nein«, widersprach Joshua York. Er seufzte. »Hören Sie zu, Abner, und versuchen Sie zu verstehen. Julian ist der Blutmeister. Er beherrscht sie alle. Einige von ihnen sind genauso wie er, verdorben, böse. Katherine, Raymond, andere, sie folgen ihm bereitwillig. Aber nicht alle. Sie haben Valerie gesehen, Sie haben sie heute im Boot reden hören. Ich bin nicht allein. Unsere Rassen unterscheiden sich gar nicht so wesentlich. Wir alle haben das Gute und das Böse in uns, und wir alle träumen. Wenn Sie den Dampfer angreifen, wenn Sie sich gegen Julian stellen, dann werden sie ihn verteidigen, ganz gleich, welche persönlichen Hoffnungen sie hegen. Jahrhunderte der Unterwerfung und der Angst treiben sie dann an. Ein Strom aus Blut wird zwischen Tag und Abend fließen, der nur schwer durchschritten werden kann. Diejenigen, die zögern - wenn es überhaupt jemand ist -, werden ausgebootet.
Wenn Sie kommen, Abner, Sie und Ihre Leute, dann wird der Tod regieren. Und nicht Julians Tod allein. Die anderen werden ihn beschützen, und sie werden dabei untergehen, und Ihre Leute ebenfalls.«
»Manchmal muß man eben ein Risiko auf sich nehmen«, sagte Marsh. »Und diejenigen, die Julian helfen, verdienen es sowieso zu sterben.«
»Tun sie das?« Joshuas Gesicht zeigte Trauer. »Vielleicht ist es so. Vielleicht sollten wir alle sterben. Wir sind in dieser Welt, die Ihre Rasse für sich gebaut hat, fehl am Platze. Ihre Rasse hat uns bis auf eine Handvoll ausgerottet. Vielleicht ist es an der Zeit, auch die letzten Überlebenden noch abzuschlachten.« Er lächelte grimmig.
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