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Fiebertraum

Fiebertraum

Titel: Fiebertraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R.R. Martin
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Zimmer um, in das man ihn führte. Er schlief wie ein Murmeltier.
    Als er erwachte, war es dunkel.
    Marsh richtete sich schwerfällig in seinem Bett auf. Das lange Rudern forderte seinen Tribut. Seine Gelenke knackten, wenn er sich bewegte, er hatte einen furchtbaren Krampf in den Schultern, und seine Arme fühlten sich an, als hätte jemand ständig mit einem dicken Eichenknüppel darauf eingeschlagen. Er stöhnte, rutschte vorsichtig zum Matratzenrand und stellte behutsam die nackten Füße auf den Boden. Jeder Schritt löste in ihm eine Schmerzwoge aus, als er zum Fenster ging und es weit öffnete, um etwas kühle Nachtluft ins Zimmer zu lassen. Draußen befand sich ein kleiner Steinbalkon, dahinter ein Streifen Chinabäume, und dann waren da noch die Felder, kahl und verlassen im Mondschein. In der Ferne konnte Marsh den matten Schein des Bagassehaufens erkennen, von dem noch immer ein Rauchschleier aufstieg. Jenseits davon war der Fluß aus dieser Entfernung nur ein winziger Schimmer.
    Marsh fröstelte, schloß das Fenster und kehrte ins Bett zurück. In dem Zimmer war es jetzt ziemlich kühl; daher wickelte er sich in die Decken und drehte sich auf die Seite. Das Mondlicht schuf überall dunkle Nischen und Schatten, und die Möbel, die ihm allesamt fremd waren, wurden in dem vagen Licht beinahe unheimlich. Er konnte nicht schlafen. Seine Gedanken gingen auf die Reise, wanderten zu Damon Julian und der Fiebertraum und warfen die drängende Frage auf, ob der Dampfer immer noch an der Stelle lag, wo er ihn verlassen hatte. Er dachte auch an Valerie. Er hatte sie eingehend betrachten können, als sie sie unter dem Boot hervorgezogen hatten, und sie hatte keinen besonders schönen Anblick geboten. Niemals hätte man geglaubt, daß sie eine Schönheit war, blaß, voller Grazie und sinnlich, mit großen violetten Augen. Abner Marsh hatte Mitleid mit ihr und fand dies eine seltsame Reaktion angesichts der Tatsache, daß er einen Abend vorher um die gleiche Zeit versucht hatte, sie mit seiner Büffelflinte zu erlegen. Die Welt ist schon ein furchtbar seltsamer Ort, dachte, wenn sich an einem einzigen Tag so vieles so gründlich verändern kann.
    Schließlich schlief er wieder ein.
    »Abner«, erklang das Flüstern und störte seine Träume, »Abner, lassen Sie mich hinein!«
    Abner Marsh setzte sich jäh auf. Joshua York stand auf seinem Balkon und klopfte mit der bleichen wunden Hand gegen die Fensterscheibe.
    »Moment!« murmelte Marsh. Es war draußen noch stockfinster, und im Haus war alles still. Joshua lächelte, als Marsh aus dem Bett stieg und auf ihn zutappte. Sein Gesicht war von Rissen und Falten gezeichnet und wies Fetzen abgestorbener Haut auf. Marsh öffnete die Balkontüren, und Joshua trat ein, bekleidet mit seinem ramponierten weißen Anzug, der nun fleckig und zerknittert war. Erst als er sich im Zimmer befand, fiel Abner Marsh die leere Flasche ein, die er in den Fluß geschleudert hatte. Er wich plötzlich zurück. »Joshua, Sie haben doch - keinen Durst , oder?«
    »Nein«, erwiderte Joshua York. Sein grauer Umhang wehte und flatterte im Wind, der durch die offenen Balkontüren hereinblies. »Ich wollte nicht das Schloß zerstören oder die Scheiben einschlagen. Haben Sie keine Angst, Abner.«
    »Das war auch gut so«, sagte Marsh und betrachtete ihn. Yorks Lippen waren immer noch aufgesprungen, die Augen lagen in tiefen rotschwarzen Schächten, aber er hatte sich deutlich erholt. Noch gegen Mittag hatte er ausgesehen wie der leibhaftige Tod.
    »Ja«, sagte Joshua, »Abner, ich bin gekommen, um mich zu verabschieden.«
    »Wie bitte?« Marsh war völlig entgeistert. »Sie können nicht weg!«
    »Ich muß, Abner. Man hat mich gesehen, wem immer diese Plantage gehört. Ich habe auch eine vage Erinnerung daran, daß mich ein Arzt behandelt hat. Morgen bin ich wieder geheilt. Was werden die Leute dann denken?«
    »Was denken die erst, wenn sie Ihnen das Frühstück bringen und Sie gar nicht da sind?« hielt Marsh ihm entgegen.
    »Zweifellos werden sie verwirrt reagieren, aber dafür lassen sich sehr viel einfacher passende Erklärungen finden. Sie werden genauso entsetzt reagieren wie Sie, Abner. Erklären Sie ihnen, ich sei im Fieberwahn davongelaufen. Niemand wird mich jemals finden.«
    »Valerie ist tot«, sagte Marsh.
    »Ja«, sagte Joshua. »Draußen steht ein Wagen mit einem Sarg. Ich dachte mir schon, daß er für sie gedacht ist.« Er seufzte und schüttelte den Kopf. »Ich habe versagt.

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