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Fiebertraum

Fiebertraum

Titel: Fiebertraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R.R. Martin
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zurückgezogen, wie er die ganze Zeit gelebt hatte, hörte er nur wenig von Hochwasser, Stürmen und anderen Unglücksfällen.
    Der Mann stieß einen Pfiff aus. »Verdammt, das war ganz schlimm. Einige Schiffe haben sich losgerissen und wurden ganz schön zu Klump gehauen. Die Eclipse war auch dabei. So wie ich hörte, hat sie ganz hübsch was abbekommen.«
    Marsh schluckte das Brot hinunter und legte Messer und Gabel beiseite, die er gerade hochgehoben hatte, um der Ente zu Leibe zur rücken. »Die Eclipse «, sagte er.
    »Yessuh.« »Wie schlimm?« fragte Marsh. »Cap’n Sturgeon läßt sie doch reparieren, oder?«
    »Teufel auch, sie ist viel zu stark beschädigt«, meinte der Maschinist. »Ich hörte, sie wollen sie nach Memphis schleppen und als Leichter einsetzen.«
    »Als Leichter«, wiederholte Marsh dumpf und dachte an jene alten grauen Kästen, die die Landungsstellen in St. Louis und New Orleans und in den anderen großen Flußstädten säumten, Schiffe, ihrer Maschinen und Kessel beraubt, leere Hüllen, die nur noch dazu dienten, Fracht zu lagern und zwischen Schiff und Land hin und her zu pendeln. »Sie ist doch nicht . . . sie ist . . . «
    »Was mich betrifft, ich denke, das hat sie verdient«, sagte der Mann. »Verdammt, wir hätten sie mit der Shotwell geschlagen, wenn nur nicht ...«
    Marsh erzeugte ein ersticktes grollendes Geräusch in der Kehle. »Verschwinden Sie verdammt noch mal von hier!« erhob er die Stimme. »Wenn Sie kein Shotwell-Mann wären, dann würde ich Ihnen wegen dieser Worte in den Hintern treten. Und jetzt verschwinden Sie!«
    Der Maschinist stand schnell auf. »Sie sind genauso verrückt, wie man es sich erzählt«, platzte es aus ihm heraus, eher er verschwand.
    Abner Marsh saß lange an seinem Tisch, ließ das Essen vor sich unberührt und starrte ins Nichts, während sich ein grimmiger, kalter Ausdruck auf seinem Gesicht ausbreitete. Schließlich erschien zaghaft ein Kellner. »Stimmt etwas nicht mit der Ente, Cap’?«
    Marsh schaute nach unten. Die Ente war schon etwas abgekühlt. Fett gerann allmählich um sie herum. »Ich habe keinen Hunger mehr«, sagte er. Er schob den Teller zurück, bezahlte seine Rechnung und ging.
    In der folgenden Woche ging er seine Hauptbücher durch und zählte seine Schulden zusammen. Dann rief er Karl Framm zu sich. »Es hat keinen Sinn«, sagte Marsh zu ihm. »Sie wird niemals mehr gegen die Eclipse fahren, selbst wenn wir sie finden sollten, was wir auch nicht schaffen. Ich habe auch keine Lust mehr zu suchen. Ich gehe mit der Eli Reynolds auf den Missouri und sehe zu, was ich dort tun kann, Karl. Ich muß mal wieder Geld verdienen.«
    Framm starrte ihn anklagend an. »Ich habe keine Lizenz für den Missouri.« »Ich weiß. Ich lasse Sie deshalb gehen. Sie verdienen sowieso ein besseres Schiff als die Eli Reynolds .«
    Karl Framm sog an seiner Pfeife und schwieg. Marsh konnte ihm nicht in die Augen schauen. Er raschelte mit den Papieren. »Ich zahle allen Lohn, den ich Ihnen noch schulde«, sagte er.
    Framm nickte und wandte sich zum Gehen. An der Tür verharrte er. »Wenn ich einen neuen Job habe«, sagte er, »dann halte ich weiterhin die Augen offen. Wenn ich sie finde, dann hören Sie von mir.«
    »Sie werden sie nicht finden«, sagte Marsh illusionslos. Dann schloß Framm die Tür, verließ seinen Dampfer und verschwand aus seinem Leben, und Abner Marsh war nun so allein wie nie zuvor. Nun war niemand mehr da außer ihm, niemand, der sich an die Fiebertraum erinnerte oder an Joshuas weißen Anzug und an die Hölle, deren Feuer hinter den Augen Damon Julians loderte. Nun war alles das nur deshalb noch lebendig, weil Marsh sich erinnerte, und Marsh hatte die Absicht zu vergessen.
    Die Jahre verstrichen.
    Die Eli Reynolds verdiente auf dem Missouri recht gut. Fast ein Jahr lang war sie dort unterwegs, und Marsh führte sie und hielt sie in Schuß und kümmerte sich um seine Fracht und seine Passagiere und seine Hauptbücher. Er verdiente während der ersten beiden Trips genug, um drei Viertel seiner beträchtlichen Schulden zu bezahlen. Er hätte sogar reich werden können, hätten die Ereignisse in der großen Welt sich nicht gegen ihn verschworen; die Wahl Lincolns (Marsh stimmte für ihn trotz der Tatsache, daß er Republikaner war), die Sezession, die Belagerung von Fort Sumter. Marsh dachte an Joshua Yorks Worte, als dieses Blutbad sich ankündigte: Der rote Durst hat die Nation erfaßt, und nur Blut wird ihn stillen

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