Fiebertraum
Meter lang, womit sie das größte Schiff auf dem Fluß war, nun da die Eclipse und die Fiebertraum verschwunden und vergessen waren. Sie war auch prächtig. Marsh hatte sie sicherlich schon dutzendmal betrachtet und war sogar einmal an Bord gewesen. Ihr Ruderhaus war reich ausgestattet mit Technik und Zierrat und besaß eine Zierkuppel als Dach, und das Glas und das polierte Holz und die Teppiche im Schiff waren so üppig, daß es einem fast das Herz brach. Sie sollte das feinste, schönste Dampfschiff sein, das jemals gebaut worden war, luxuriös genug, um alle älteren Schiffe vor Scham versinken zu lassen. Aber sie war nicht besonders schnell, hatte Marsh außerdem gehört, und es hieß auch, daß sie Verluste in beängstigenden Höhen einfuhr. Er stand da mit vor der Brust verschränkten Armen, sah grimmig und unerschütterlich aus in seinem düsteren schwarzen Mantel und schaute zu, wie die Schauerleute sie beluden. Die Arbeiter waren schwarz, und zwar jeder von ihnen. Das war auch anders geworden. Alle Schauerleute auf dem Fluß waren jetzt farbig. Die Immigranten, die vor dem Krieg als Schauerleute, Heizer und Deckshelfer gearbeitet hatten, waren weitergezogen, Marsh wußte nicht wohin, und die befreiten Sklaven hatten ihre Plätze eingenommen.
Während sie arbeiteten, sangen die Schauerleute. Ihr Lied war ein leiser melancholischer Gesang. Dunkel ist die Nacht und lang der Tag , lautete er. Und die Heimat ist so weit. Weine, Bruder weine nur. Marsh kannte den Gesang. Es gab auch noch eine weitere Strophe, die lautete: Vorüber ist die Nacht, der lange Tag, vorbei.
Singt meine Brüder, singt. Aber diese Strophe sangen sie nicht. Nicht heute abend hier auf diesem verlassenen Dampferpier, wo sie ein Schiff beluden, das nagelneu war und prachtvoll und dennoch nicht genügend Aufträge bekam. Während er ihnen zusah und zuhörte, kam es Abner Marsh so vor, als läge der ganze Fluß im Sterben - und er selbst auch. Er hatte für den Rest seiner Zeit auf dieser Erde genügend dunkle Nächte und lange Tage erlebt, und er war sich nicht mehr sicher, ob er noch ein richtiges Zuhause hatte.
Abner Marsh verließ langsamen Schrittes die Anlegestelle und kehrte zu seinem Hotel zurück. Am nächsten Tag entließ er seine Offiziere und die Mannschaft, löste Fevre River Packets auf und gab die Eli Reynolds zum Verkauf frei.
Marsh nahm alles Geld, das er noch hatte, verließ St. Louis und kaufte sich ein kleines Häuschen in seiner alten Heimatstadt Galena in Sichtweite des Flusses. Nur war es nicht mehr der Fevre River. Sie waren hingegangen und hatten ihn in Galena River umbenannt, vor Jahren schon, und nun nannte jedermann ihn bei diesem Namen. Der neue Name wecke angenehmere Assoziationen, sagten die Leute. Für Abner Marsh war er jedoch weiterhin der Fevre, so wie er in seiner Kindheit als Junge von ihm zu sprechen pflegte.
Er unternahm nicht viel in Galena. Er las viele Zeitungen. Das hatte er zu seiner Gewohnheit gemacht in den Jahren, da er Joshua gesucht hatte, und er wollte auf dem laufenden bleiben, was die schnellen Schiffe und ihre Fahrtzeiten betraf. Die Robert E. Lee war 1866 aus New Albany gekommen und ein echter Renner. Die Wild Bob Lee nannten einige Flußleute sie, oder nur kurz Bad Bob . Und Cap’n Tom Leathers, ein harter, bösartiger, fluchender Flußmann, wie man ihn von den alten Dampfern kannte, hatte 1869 eine neue Natchez bauen lassen. Die neue Natchez war laut den Zeitungen schneller als alle vorigen. Sie schnitt durchs Wasser wie ein Messer, und Leathers prahlte auf dem ganzen Fluß, wie er es Cap’n John Cannon und seiner Wild Bob Lee bald zeigen würde. In den Zeitungen überschlug man sich. Er konnte geradezu das Rennen riechen, das schon bald in Illinois stattfinden würde, und es schien ein Ereignis zu werden, über das man noch in vielen Jahren reden würde. »Ich würde mir dieses verdammte Rennen gern ansehen«, sagte er eines Tages zu der Frau, die er eingestellt hatte, damit sie ihm das Haus sauberhielt. »Keiner hätte eine Chance gegen die Eclipse , darauf kann ich Ihnen mein Wort geben.«
»Beide haben viel bessere Zeiten als Ihre olle Eclipse «, widersprach sie ihm. Die Frau neckte ihn gern.
Marsh schnaubte. »Das heißt gar nichts. Der Fluß ist jetzt kürzer. Jedes Jahr fehlt ein weiteres Stück. Nicht mehr lange, und man kann von St. Louis nach New Orleans zu Fuß gehen.«
Marsh las noch mehr als nur Zeitungen. Dank Joshua hatte er eine Vorliebe für Gedichte
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