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Fiebertraum

Fiebertraum

Titel: Fiebertraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R.R. Martin
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und lenkte das Schiff stromabwärts, und der riesige Raddampfer erbebte und glitt nahezu gewichtslos in den Hauptkanal; die Räder stampften und rauschten, als sie sich durch das Wasser wühlten und es aufschäumen ließen. Das Boot wurde immer schneller, angetrieben von der Strömung und von seinem Dampf, und es rauschte dahin, schnell wie der Traum eines Dampfbootfahrers, schnell wie die Sünde, schnell wie die Eclipse damals. Über ihren Köpfen stießen die Schornsteine zwei langgezogene dicke schwarze Qualmfahnen aus, und Funken flogen in dichten Wolken heraus und verglühten hinter ihnen, senkten sich nieder auf den Fluß, um dort zu vergehen wie unzählige rote und orangefarbene Glühwürmchen. Für Abner Marshs Augen boten der Qualm und der Dampf und die Funken, die wie eine Fahne hinter ihnen herflatterten, einen herrlicheren, grandioseren Anblick als das Feuerwerk, das sie am 4. Juli in Louisville erlebt hatten. Der Lotse griff in diesem Augenblick nach oben und ließ ihre Dampfpfeife ertönen, und ihr anhaltender schriller Schrei machte sie für Sekunden taub; es war eine wunderbare Pfeife, ihr Ton hatte so viel Schärfe und Kraft, daß er meilenweit zu hören war.
    Erst als die Lichter von Louisville und New Albany hinter ihnen verschwanden und die Fiebertraum zwischen Uferwällen dahinstampfte, die so schwarz und kahl waren wie schon vor einem Jahrhundert, bemerkte Abner Marsh, daß Joshua York zum Ruderhaus heraufgestiegen war und neben ihm stand.
    Er hatte sich elegant herausgeputzt, trug eine Hose und einen Frack in reinstem Weiß, dazu eine tiefblaue Weste, ein weißes Hemd mit Spitzen und Rüschen und eine blaue Seidenkrawatte. Die Uhrkette, die sich über seine Weste spannte, war aus Silber, und an einer blassen Hand trug York einen großen Silberring mit einem kunstvoll gefaßten hellblauen Stein, der lebhaft funkelte. Weiß und Blau und Silber, das waren die Schiffsfarben, und York sah aus, als wäre er ein Teil davon. Das Ruderhaus war mit prächtigen blauen und silberfarbenen Vorhängen dekoriert, und die ausladende Couch im hinteren Teil war ebenfalls blau, das Wachsleinen desgleichen. »Kompliment, Sie gefallen mir, Joshua«, sagte Marsh zu ihm.
    York lächelte. »Danke sehr«, erwiderte er. »Ich hielt es für angemessen. Sie sehen aber auch nicht übel aus.« Marsh hatte sich eine neue Lotsenjacke mit glänzenden Messingknöpfen sowie eine Mütze gekauft, auf deren vorderem Rand der Name seines Schiffs mit Silberfaden eingestickt war.
    »Hmmm-ja«, knurrte Marsh. Komplimente machten ihn immer verlegen; das Fluchen fiel ihm leichter, und es war ihm vertrauter. »Nun«, meinte er, »haben Sie unser Auslaufen miterlebt?« York hatte fast den ganzen Tag in der Kapitänskabine auf dem Texas-deck geschlafen, während Marsh geschwitzt und sich den Kopf zerbrochen und die meisten Pflichten wahrgenommen hatte, die ein Kapitän erledigen mußte. Marsh hatte sich allmählich daran gewöhnt, daß York und seine Gefährten erst abends und nachts richtig wach wurden und den Tag größtenteils verschliefen. Er hatte auch schon andere Leute kennengelernt, die es genauso gehalten hatten, und als er York einmal darüber hatte ausfragen wollen, hatte Joshua nur gelächelt und das Gedicht zitiert, das Marsh schon einmal von ihm gehört hatte.
    »Ich habe oben auf dem Sturmdeck gestanden, ein Stück vor den Schornsteinen, und habe mir alles angeschaut. Sobald wir Fahrt aufnahmen, war es dort oben angenehm kühl.«
    »Ein schneller Raddampfer schafft sich seinen Wind selbst«, sagte Marsh. »Ganz gleich wie heiß der Tag ist oder wie heftig das Holz in den Feuerungen verbrennt, dort oben ist es immer frisch und angenehm. Manchmal tun mir die armen Teufel unten auf dem Hauptdeck richtig leid, aber zum Teufel noch mal, dafür zahlen sie auch nur einen Dollar für die Fahrt.«
    »Natürlich«, pflichtete Joshua York ihm bei.
    Das Schiff gab in diesem Augenblick einen dumpfen Laut von sich und erzitterte leicht.
    »Was war das?« fragte York.
    »Wahrscheinlich sind wir über einen Baumstamm gelaufen«, entgegnete Marsh. »Stimmt das?« fragte er den Lotsen. »Wir haben ihn gestreift«, antwortete der Mann. »Aber keine Sorge, Cap’n. Es ist nichts beschädigt worden.«
    Abner Marsh nickte und wandte sich wieder zu York um. »Sollen wir nicht mal runtergehen in die Hauptkabine? Die Passagiere haben sich bestimmt dort versammelt, denn immerhin ist dies ja der erste Abend unserer Fahrt. Wir könnten uns mit ein

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