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Fiebertraum

Fiebertraum

Titel: Fiebertraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R.R. Martin
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fordern, und betätigte erneut die Dampfpfeife, und der wilde Furienschrei hallte über den Fluß, als wolle er das andere Dampfboot warnen, daß die Fiebertraum näher kam.
    Der Pfiff reichte aus, um alle Passagiere aus dem Hauptsalon hinaus an Deck zu locken. Er scheuchte sogar die Deckspassagiere von ihren Mehlsäcken hoch, auf denen sie geschlafen hatten.
    Zwei Passagiere kamen herauf und wollten das Ruderhaus betreten, aber Marsh schickte sie wieder nach unten, zusammen mit den dreien, die bereits oben gesessen hatten. Wie Passagiere es stets tun, rannten alle nach vorn und später zur Backbordseite, als zu erkennen war, daß sie das andere Boot auf dieser Seite überholen würden. »Verdammtes Volk«, schimpfte Marsh halblaut, so daß nur York ihn hören konnte. »Die haben keine Ahnung vom Austrimmen eines Bootes. Eines Tages rennen sie alle auf eine Seite und bringen unser Schiff zum Kentern, darauf könnte ich schwören.«
    Trotz all seiner Beschwerden freute Marsh sich insgeheim. Whitey ließ unten mehr Holz in die Feuerungen werfen, die Flammen brüllten, und die mächtigen Schaufelräder drehten sich schneller und schneller. Es war bald vorbei. Die Fiebertraum schien die Meilen zwischen sich und dem anderen Boot geradezu zu fressen, und als sie es überholten, hallte von den unteren Decks heiseres Triumphgeschrei zu Marsh hinauf und war Musik in seinen Ohren.
    Als sie an dem kleinen Heckraddampfer vorbeirauschten, las York seinen Namen vom Ruderhaus ab. »Es scheint die Mary Kaye zu sein«, sagte er dann.
    »Der haben wir es gezeigt!« sagte Marsh.
    »Ein bekanntes Boot?« erkundigte sich York.
    »Teufel, nein«, sagte Marsh. »Ich habe noch nie von ihr gehört. Gibt es so was?« Dann brach er in brüllendes Gelächter aus und schlug York auf den Rücken, und bald lachte jeder der im Ruderhaus Anwesenden.
    Ehe die Nacht vorüber war, hatte die Fiebertraum ein halbes Dutzend anderer Dampfboote eingeholt und überholt, darunter einen Raddampfer nahezu genauso groß wie sie selbst, aber es war kein einziges Mal mehr so aufregend wie beim erstenmal, als sie auf die Mary Kaye getroffen waren. »Sie wollten wissen, wie wir anfangen«, sagte Marsh zu York, als sie das Ruderhaus verließen. »Nun, Joshua, es hat soeben angefangen.«
    »Ja«, sagte York und blickte nach hinten, wo die Mary Kaye in der Ferne immer kleiner wurde. »Das hat es wirklich.«

KAPITEL FÜNF
 
An Bord des Raddampfers Fiebertraum Ohio River, Juli 1857
     
     
    K opfschmerzen hin, Kopfschmerzen her, Abner Marsh war ein zu guter Flußschiffer, um den Tag zu verschlafen; vor allem einen Tag, der so wichtig war wie dieser. Er schwang sich gegen elf Uhr, nach ein paar Stunden Schlaf, aus dem Bett, spritzte sich aus der Schüssel auf dem Nachttisch etwas lauwarmes Wasser ins Gesicht und kleidete sich an. Es war noch einiges zu erledigen, und York würde erst wieder gegen Abend auftauchen. Marsh setzte sich die Mütze auf den Kopf, schnitt sich selbst im Spiegel eine Grimasse und strich sich mit den Fingern durch den Bart, um ihn aufzulockern, dann ergriff er seinen Spazierstock und schlenderte vom Texasdeck hinunter auf das Kesseldeck. Zuerst stattete er der Toilette einen Besuch ab, dann ging er nach hinten zur Küche. »Ich habe das Frühstück verpaßt, Toby«, sagte er zu dem Koch, der bereits mit den Vorbereitungen für das Mittagessen begonnen hatte. »Einer deiner Jungs soll mir ein halbes Dutzend Eier und eine Scheibe Speck in die Pfanne hauen und zum Texasdeck hinaufschicken, okay? Auch Kaffee. Und zwar reichlich.«
    Im großen Salon nahm Marsh ein oder zwei schnelle Drinks, wonach er sich gleich besser fühlte. Er wechselte mit Passagieren und Kellnern ein paar höfliche Worte, dann eilte er zum Texasdeck zurück und wartete auf sein Essen.
    Nach der Mahlzeit war Abner Marsh wieder ganz der alte.
    Mit dem Frühstück im Bauch stieg er hinauf zum Ruderhaus. Die Schicht hatte gewechselt, und ein anderer Lotse stand nun am Ruderrad, und nur noch einer der Freifahrer leistete ihm Gesellschaft. »Guten Morgen, Mister Kitch«, begrüßte Marsh seinen Lotsen. »Wie macht sie sich?«
    »Kann mich nicht beklagen«, erwiderte der Lotse. Er sah Marsh flüchtig an. »Ihr Schiff ist eine ziemlich empfindliche Lady, Cap’n. Wenn Sie mit ihr nach New Orleans wollen, dann sollten Sie sich aber auf jeden Fall ein paar gute Lotsen an Bord holen. Sie braucht eine erfahrene Hand am Ruder.«
    Marsh nickte. Das kam nicht unerwartet; die schnelleren

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