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Fiebertraum

Fiebertraum

Titel: Fiebertraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R.R. Martin
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heraufkommen?«
    »Für Captain Marsh ist das vielleicht ein guter Vorschlag«, meinte York, »ich würde lieber jetzt gleich anfangen.«
    Framm schaute sich um. »Zum Teufel«, sagte er. »Sehen Sie das denn nicht? Es ist Nacht. Ich habe Jody jetzt schon fast ein Jahr bei mir, und erst seit einem Monat lasse ich ihn auch mal nachts und bei Nebel ein Boot steuern. Bei Nacht auf dem Fluß zu fahren ist niemals einfach. Nein.« Sein Ton war bestimmt. »Ich kann mit Ihnen schon früh am Tag anfangen, wenn man sehen kann, wohin man fährt.«
    »Ich werde bei Nacht lernen. Ich habe einen seltsamen Tagesablauf, Mister Framm. Aber Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Ich verfüge über eine ausgezeichnete Nachtsichtfähigkeit, besser als Ihre, vermute ich.«
    Der Lotse streckte die langen Beine aus, erhob sich und stakste durch das Ruderhaus, um das Rad wieder zu übernehmen. »Geh nach unten«, befahl er seinem Lehrling. Als der Junge gegangen war, sagte Framm. »Kein Mensch hat so gute Augen, daß er nachts auf einem schwierigen Flußabschnitt fahren kann.« Er wandte ihnen den Rücken zu und starrte auf das schwarze, von Sternen-schein etwas erhellte Wasser vor dem Schiff. Weit flußaufwärts konnten sie die fernen Lichter eines anderen Dampfers erkennen. »Heute haben wir eine schöne, klare Nacht, keine nennenswerten Wolken, einen fast vollen Mond, einen guten Fluß. Sehen Sie auf das Wasser dort draußen. Wie schwarzes Glas. Schauen Sie sich die Ufer an. Es ist doch wirklich einfach, sie zu erkennen, nicht wahr?«
    »Ja«, sagte York. Marsh grinste und sagte nichts.
    »Nun«, sagte Framm, »so ist es nicht immer. Manchmal gibt es gar keinen Mond, manchmal verdecken die Wolken alles. Dann wird es verdammt schwarz um einen herum. Das wird so schlimm, daß Sie überhaupt nichts mehr erkennen. Die Ufer weichen zurück, so daß Sie nicht ausmachen können, wo sie verlaufen, und wenn Sie nicht wissen, was getan werden muß, dann laufen Sie Gefahr, mit dem Boot mitten hineinzufahren. Bei anderen Gelegenheiten treffen Sie auf Schatten, die sich auftürmen und so aussehen wie feste Gegenstände, und man muß dann wissen, daß sie es nicht sind, sonst verbringen Sie die ganze Nacht damit, Dingen auszuweichen, die überhaupt nicht vorhanden sind. Was meinen Sie, Cap’n York, woher weiß ein Lotse solche Dinge?« Framm gab ihm gar keine Gelegenheit zu einer Erwiderung. Er tippte sich gegen die Schläfe. »Er hat das alles in seinem Schädel, indem er den Fluß den ganzen Tag vor sich sieht und sich an alles erinnert, an jede Biegung, an jedes Haus am Ufer, an jeden Holzplatz, an jede tiefe und an jede seichte Stelle und wo man entlangfahren muß. Man lenkt einen Raddampfer mit dem, was man weiß, Cap’n York, und nicht mit dem, was man sieht. Aber man muß erst sehen, ehe man weiß, und bei Nacht kann man nicht richtig sehen.«
    »Das ist wahr, Joshua«, bestätigte Abner Marsh und legte York eine Hand auf die Schulter.
    York sagte leise: »Das Boot vor uns ist ein Dampfer mit Seitenrädern. Zwischen den Schornsteinen scheint die Lichterkette ein K zu bilden, und das Schiff hat ein Ruderhaus mit Kuppeldach. Im Augenblick passiert das Boot einen Holzplatz. Es gibt dort ein halbverfallenes Anlegefloß, an dessen Ende ein Schwarzer sitzt und auf den Fluß hinausschaut.«
    Marsh ließ Yorks Schulter los und ging zum Fenster und schaute blinzelnd hinaus. Das andere Boot hatte noch einen großen Vorsprung. Er konnte undeutlich ausmachen, daß es ein Seitenraddampfer war, aber das Gebilde zwischen ihren Schornsteinen . . . die Schornsteine waren schwarz vor einem schwarzen Himmel, er konnte sie kaum erkennen, und dann auch nur dank der Funken, die herausgeschleudert wurden. »Verdammt«, sagte er.
    Framm drehte sich um und starrte York mit überraschten Augen an. »Ich kann noch nicht mal die Hälfte erkennen«, sagte er, »aber ich glaube dennoch, daß Sie recht haben.« Ein paar Augenblicke später dampfte die Fiebertraum an dem Holzplatz vorbei, und da saß der alte Farbige genauso, wie York ihn beschrieben hatte. »Er raucht eine Pfeife«, sagte Framm schmunzelnd. »Das haben Sie ausgelassen.«
    »Entschuldigung«, sagte Joshua York.
    »Nun«, sagte Framm nachdenklich, »nun.« Er kaute auf seiner Pfeife herum und richtete den Blick nach vorn auf den Fluß. »Sie haben wirklich gute Augen, das muß ich Ihnen doch mal sagen. Aber ich bin mir noch immer nicht ganz sicher. In einer klaren Nacht ist es nicht schwer, einen

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