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Fiebertraum

Fiebertraum

Titel: Fiebertraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R.R. Martin
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Wenn ja, dann stand Joshua auf der Seite des Rechts. Aber warum das Schweigen, wenn seine Absicht völlig berechtigt war?
    Es mußte mehr als nur ein Feind sein, erkannte Marsh. Keine einzelne Person konnte für all die Morde auch nur in einem der Bücher verantwortlich sein, und Joshua hatte schließlich von ›Feinden‹ gesprochen. Außerdem war er aus New Madrid zurückgekommen und hatte Blut an den Händen gehabt, aber damit war seine Suche noch nicht beendet.
    Er konnte sich keinen Reim darauf machen.
    Marsh widmete sich bei seiner Suche jetzt den Schubladen und Fächern in Yorks Schreibtisch. Papier, gediegenes Briefpapier mit einem Bild der Fiebertraum und dem Namen der Dampfschiffahrtslinie versehen; Briefumschläge, Tinte, ein halbes Dutzend Bleistifte, ein Tintenlöscher. Eine Karte vom Flußsystem mit eingezeichneten Markierungen, Stiefelwichse, Siegelwachs: kurz, nichts Verwendbares. In einer Schublade fand er Briefe und nahm sie sich sofort hoffnungsvoll vor. Aber sie verrieten ihm nichts. Zwei waren Kreditbriefe, und der Rest war simple Geschäftskorrespondenz mit Agenten in London, New York, St. Louis und anderen Städten. Marsh stieß auf einen Brief von einem Bankier in St. Louis, der York auf die Fevre River Packets aufmerksam machte. »Ich denke, diese Firma ist für Ihre Zwecke, so wie Sie sie beschreiben, am besten geeignet«, hatte der Mann geschrieben. »Der Eigentümer ist ein erfahrener Flußmann, der für seine Ehrlichkeit bekannt ist, der ungeheuer häßlich und dabei fair sein soll und der kürzlich einige Rückschläge einstecken mußte, die ihn für Ihr Angebot empfänglich machen dürften.« Der Brief ging noch weiter, aber er verriet Marsh nichts, was er nicht schon längst gewußt hatte.
    Nachdem er die Briefe wieder genauso arrangiert hatte, wie er sie vorgefunden hatte, erhob Abner Marsh sich und ging in der Kabine umher auf der Suche nach etwas anderem, nach anderen Hinweisen, die ihm Aufschlüsse geben könnten. Er fand nichts; Kleidung in den Schubladen, Yorks widerwärtig schmeckendes Spezialgetränk im Weinregal, Anzüge im Schrank, überall Bücher. Marsh las die Titel der Bände auf Yorks Nachttisch, einer war ein Buch mit Gedichten von Shelley, der andere ein medizinisches Fachbuch, von dem er kaum eine Zeile verstand. Das hohe Bücherregal enthielt eine Menge ähnlicher Werke; viel Prosa und Lyrik, zahlreiche historische Abhandlungen, Bücher über Medizin und Philosophie und Naturwissenschaften, ein staubiger alter Foliant über Alchemie, eine ganze Reihe Bücher in fremden Sprachen. Ein paar Bücher ohne Titel standen ebenfalls dort, handgebunden in bestem Leder und mit Goldschnitt versehen, und Marsh zog eins heraus in der Hoffnung, daß er das Tagebuch oder Journal gefunden hatte, das ihm die Antworten auf seine Fragen lieferte. Aber wenn es so etwas sein sollte, dann konnte er es dennoch nicht entziffern; der Text war in einer seltsamen verdrehten Sprache geschrieben, und die Handschrift zeigte nicht jene für Joshua typische Leichtigkeit und Eleganz, sondern sie war krakelig und winzig.
    Marsh ließ seine Blicke ein letztesmal durch die Kabine schweifen, um sich zu versichern, daß er nichts übersehen hatte, und entschied schließlich, sie zu verlassen, am Ende genauso schlau wie in dem Augenblick, als er sie betreten hatte. Er schob den Schlüssel ins Schloß, drehte ihn behutsam, löschte die Lampe, trat hinaus und verriegelte die Tür hinter sich. Es hatte sich draußen etwas abgekühlt. Marsh bemerkte erst jetzt, daß er in Schweiß gebadet war. Er verstaute den Schlüssel wieder in seiner Jackentasche und wandte sich zum Gehen.
    Und verharrte.
    Ein paar Meter entfernt stand die gespenstische alte Frau, Katherine, und starrte ihn an, einen Ausdruck eisiger Feindseligkeit in den Augen. Marsh beschloß, die Situation mit Unverfrorenheit zu überspielen. Er tippte an seine Mütze. »Guten Abend, Ma’am«, sagte er zu ihr.
    Katherine lächelte kalt; der in einem Grinsen langsam aufklaffende Mund verzerrte ihr fuchsartiges Gesicht zu einer Maske grausamer Schadenfreude. »Guten Abend, Captain«, erwiderte sie. Ihre Zähne waren, wie Marsh bemerkte, gelb - und sehr lang.

KAPITEL ZEHN
 
New Orleans, August 1857
     
     
    N achdem Adrienne und Alain mit dem Dampfer Cotton Queen , der die Strecke nach Baton Rouge und Bayou Sara befuhr, abgereist waren, beschloß Damon Julian, auf dem Uferdeich zu einem französischen Kaffeehaus zu spazieren, das er kannte. Sour Billy

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