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Fiebertraum

Fiebertraum

Titel: Fiebertraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R.R. Martin
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Möglichkeiten? Kannst du mir das beantworten?«
    »Ich - Mister Julian, ich kann nicht . . . «
    »Nein, Billy, du kannst es nicht, habe ich recht?« Julian lachte. »Meine Launen bedeuten für dieses Vieh Leben oder Tod, Billy. Wenn du jemals einer von uns werden willst, dann mußt du dir darüber im klaren sein. Ich bin die Lust, Billy. Ich bin die Macht. Und die Essenz von allem, das ich bin, von Lust und Macht, steckt in der Möglichkeit. Meine eigenen Möglichkeiten sind unendlich und kennen keine Beschränkung, genauso wie unsere Jahre nicht begrenzt sind. Aber ich bin die Beschränkung für dieses Vieh, ich bin das Ende all ihrer Hoffnungen, all ihrer Möglichkeiten. Fängst du allmählich an zu begreifen? Den roten Durst zu stillen, ist nichts, dazu reicht irgendein alter Nigger auf seinem Totenbett. Doch um wieviel schöner und angenehmer ist es, von den Jungen zu trinken, den Reichen, den Schönen, von denen, deren Leben sich vor ihnen noch ausbreitet, deren Tage und Nächte vor Verheißung funkeln! Blut ist nichts als Blut, jedes Tier kann davon trinken, wirklich jedes!« Er vollführte eine lässige Geste und wies auf die Dampfschiffer auf dem Uferdeich, auf die Neger, die sich mit ihren Fässern abschleppten, und auf das prachtvoll gekleidete Volk des Vieux Carré. »Es ist nicht das Blut, das einen adelt, das aus einem einen Meister macht. Es ist das Leben, Billy. Trinke von ihrem Leben, und deines wird länger sein. Iß von ihrem Fleisch, und das deine wird erstarken. Genieße ihre Schönheit, und werde selbst viel schöner.«
    Sour Billy Tipton hörte begierig zu; er hatte Julian selten in einer so gesprächigen Stimmung erlebt. In der Dunkelheit der Bibliothek sitzend, war Julian meistens kurz angebunden und furchteinflößend. Außerhalb, wieder draußen in der Welt, da erstrahlte er und erinnerte Sour Billy mit seinem Auftreten daran, wie er zum erstenmal mit Charles Garoux auf der Plantage erschien, wo Billy als Aufseher arbeitete. Er sprach aus, was in seinem Kopf vorging.
    Julian nickte. »Ja«, meinte er, »die Plantage ist ein sicherer Ort, aber in der Sicherheit und der Sattheit liegt auch Gefahr.« Seine Zähne schimmerten weiß, als er lächelte. »Charles Garoux«, murmelte er versonnen. »Ah, die grenzenlosen Möglichkeiten der Jugend! Er war auf seine Art schön, stark, gesund. Ein unruhiger Geist, von allen Damen geliebt, von Männern bewundert. Er hätte ein großartiges Leben führen können! Seine Natur war so offen, so zugänglich, es war so einfach, sich mit ihm anzufreunden, sein unendliches Vertrauen zu erwerben, indem man ihn vor unserem armen Kurt beschützte.« Julian lachte auf. »Dann, nachdem man mich erst einmal in sein Haus eingeladen hatte, war es noch einfacher, jede Nacht zu ihm zu kommen und ihn nach und nach auszusaugen, so daß es schien, als wäre er krank und müßte sterben. Einmal erwachte er, als ich schon in seinem Zimmer war, und dachte, ich sei gekommen, um ihn zu trösten. Ich beugte mich über sein Bett, und er streckte die Arme aus und drückte mich an sich, und ich trank. Ah, die Süße meines Charles, all diese Kraft und Schönheit!«
    »Der alte Mann war ganz schön durcheinander, als er sich aufbäumte und starb«, warf Sour Billy ein. Insgeheim hatte er sich gefreut. Charles Garoux hatte seinem Vater dauernd in den Ohren gelegen, daß Billy mit den Niggern zu grob umsprang, und alles versucht, um ihn zu entlassen. Als könnte man einen Nigger ans Arbeiten bringen, wenn man ihn mit Nachsicht behandelte.
    »Ja, Garoux war fassungslos«, sagte Julian. »Wie froh er war, daß ich ihm in seiner tiefen Trauer Trost spendete. Ich, der beste Freund seines Sohnes. Wie oft gestand er mir später in seinen Stunden der Trauer, daß ich für ihn so etwas wie ein vierter Sohn geworden war.«
    Sour Billy erinnerte sich noch gut daran. Julian hatte alles sorgfältig eingefädelt. Die jüngeren Söhne hatte ihren Vater enttäuscht und im Stich gelassen; Jean-Pierre war ein Trinker und Philip ein Schwächling, der bei der Beerdigung seines Bruders geweint hatte wie ein altes Weib, während Damon Julian erschien wie ein Monument mannhafter Stärke. Sie hatten Charles auf der Plantage beerdigt, auf dem Familienfriedhof. Da der Untergrund in dieser Gegend so naß war, hatte man ihn in einem riesigen Marmormausoleum mit der Statue einer geflügelten Viktoria, der Siegesgöttin, über dem Eingang zur letzten Ruhe gebettet. Dort war es immer angenehm kühl, sogar bei der

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