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Fiebertraum

Fiebertraum

Titel: Fiebertraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R.R. Martin
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Hinweis auf Herkunft und Ursache der Absonderlichkeiten seines Partners lieferte.
    Marsh bewegte sich zum Schreibtisch, der ihm als wahrscheinlichste Ort erschien, mit seiner Suche zu beginnen, ließ sich langsam in Yorks Sessel sinken und begann die Zeitungen durchzublättern. Er berührte sie behutsam und merkte sich die Position jeder Zeitung, bevor er sie zu einer eingehenderen Untersuchung herauszog, so daß er alles so hinterlassen würde, wie er es vorgefunden hatte. Die Zeitungen waren . . . nun, Zeitungen. Etwa fünfzig Stück lagen auf dem Schreibtisch, alte und neue Ausgaben, der Herald und die Tribune aus New York, einige Zeitungen aus Chicago, sämtliche Blätter aus St. Louis und New Orleans, Zeitungen aus Napoleon und Baton Rouge und Memphis und Greenville und Vicksburg und Bayou Sara sowie Wochenjournale aus einem Dutzend kleiner Flußorte: Die meisten waren unversehrt. Aus einigen waren Artikel ausgeschnitten worden.
    Unter dem Zeitungsstapel fand Marsh zwei in Leder gebundene Hauptbücher. Er zog sie behutsam hervor und versuchte dabei, ein nervöses Verkrampfen seines Magens zu ignorieren. Vielleicht hatte er ein Journal oder ein Tagebuch in Händen, dachte Marsh, etwas, das ihm verriet, woher York kam und welche Ziele er verfolgte. Er schlug das erste Buch auf und runzelte enttäuscht die Stirn. Kein Tagebuch. Nur Artikel, sorgfältig aus Zeitungen ausgeschnitten und eingeklebt, jeder mit einem Datum und einer Ortsangabe in Joshuas flüssiger Handschrift versehen.
    Marsh las den Artikel, den er aufgeschlagen hatte, aus einer Zeitung in Vicksburg, über eine Leiche, die am Flußufer angetrieben worden war. Laut Datum war das vor sechs Monaten geschehen. Auf der gegenüberliegenden Seite befanden sich zwei Meldungen, beide ebenfalls aus Vicksburg; eine Familie war tot in einer Baracke, zwanzig Meilen von der Stadt entfernt, aufgefunden worden; ein Negermädchen - wahrscheinlich eine Ausreißerin - war im Wald gefunden worden, tot aus unbekannten Gründen.
    Marsh blätterte weiter, las, blätterte weiter. Nach einiger Zeit schlug er das Buch zu und griff nach dem nächsten. Es war das gleiche. Seite für Seite mit aufgefundenen Leichen, geheimnisvollen Todesfällen, unbekannten Toten, die man hier und da gefunden hatte, alle um die Stadt verteilt. Marsh schlug die Bücher zu, legte sie an ihren Platz zurück und versuchte nachzudenken. In den Zeitungen standen zahlreiche Meldungen über Sterbefälle und Morde, die auszuschneiden York sich gar nicht die Mühe gemacht hatte. Warum? Er blätterte ein paar Zeitungen durch und überflog sie, bis er sich ganz sicher sein konnte. Dann machte Marsh ein finsteres Gesicht. Es schien, als interessiere Joshua sich nicht für Schießereien oder Messerstechereien, für Flußleute, die ertrunken oder bei einer Kesselexplosion ums Leben gekommen und verbrannt waren, für Diebe, die nach einem Richterspruch gehängt worden waren. Die Geschichten, die er sammelte, waren anders. Es waren Todesfälle, für die man niemanden verantwortlich machen konnte. Leute mit zerfetzten Kehlen. Leichen, allesamt verstümmelt und aufgeschlitzt oder auch schon zu stark verwest, um feststellen zu können, welche Todesursache vorlag. Aber auch unversehrte Leichen, die man tot aufgefunden hatte und für die es keine Erklärung gab, die Wunden aufwiesen, die einfach zu klein waren, um auf Anhieb gefunden zu werden, die vollkommen blutleer waren. In den beiden Hauptbüchern mußten sich fünfzig oder sechzig solcher Geschichten befinden; Todesfälle aus neun Monaten, die sich entlang des unteren Mississippi verteilten. Abner Marsh empfand kurz ein Gefühl der Angst, ihm wurde fast schlecht bei dem Gedanken, daß Joshua vielleicht Hinweise auf seine bösen Taten sammelte und sie wie Trophäen aufhob. Aber ein kurzes Nachdenken sagte ihm, daß das nicht der Fall sein konnte. Einige schon, vielleicht, aber in anderen Fällen stimmten die Datumsangaben nicht; als die Menschen ihren schrecklichen Tod gefunden hatten, war Joshua mit ihm in St. Louis oder New Albany oder an Bord der Fiebertraum gewesen. Er konnte damit nichts zu tun haben.
    Dennoch, so erkannte Marsh, lag den Aufenthalten, die York angeordnet hatte, und seinen heimlichen Landausflügen ein spezielles Muster zugrunde. Er suchte die Schauplätze dieser Meldungen nacheinander auf. Was suchte York? Was . . . oder wen? Einen Feind? Einen Feind, der all das auf dem Gewissen hatte, der irgendwie unerkannt am Fluß unterwegs war?

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