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Fiebertraum

Fiebertraum

Titel: Fiebertraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R.R. Martin
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Mann.
    Abner Marsh saß kerzengerade im Bett, hellwach, und lauschte dem Schlag seines Herzens. »Verdammt«, murmelte er. Er fand ein Streichholz, zündete seine Nachttischkerze an und öffnete den Gedichtband auf der Seite mit dem Bild Byrons. »Verdammt«, stieß er noch einmal hervor.
    Marsh kleidete sich hastig an. Er sehnte sich nach etwas Wildem als Gesellschaft, nach Hairy Mikes Muskeln und schwarzem Eisenknüppel oder nach Jonathon Jeffers und seinem Stockdegen. Aber das war eine Sache zwischen ihm und Joshua allein und er hatte ihm sein Wort gegeben, mit niemandem darüber zu reden.
    Er spritzte sich Wasser ins Gesicht, griff nach seinem Hickorystock und ging hinaus aufs Deck und wünschte sich dabei, er hätte einen Prediger an Bord oder gar ein Kreuz. Der Gedichtband befand sich in seiner Tasche. Ein gutes Stück weiter unten am Landungskai war ein anderer Dampfer dabei, Dampf zu machen und zu laden; Marsh konnte hören, wie die Schauerleute einen langsamen, melancholischen Gesang anstimmten, als sie die Fracht über die Planken an Bord schleppten.
    Vor der Tür zu Joshuas Kabine hob Abner Marsh seinen Stock, um anzuklopfen, dann zögerte er, da ihm plötzlich Zweifel kamen. Joshua hatte allgemeinen Befehl gegeben, ihn nicht zu stören. Joshua würde sich gehörig über das ärgern, was Marsh ihm zu sagen hatte. Das Ganze war reiner Unsinn, das Gedicht hatte ihm nur ein paar unangenehme Träume beschert, vielleicht hatte er auch etwas gegessen, was ihm nicht bekommen war. Dennoch, dennoch . . .
    Er stand noch immer da, mit gerunzelter Stirn und in Gedanken versunken, den Stock erhoben, als die Kabinentür lautlos aufschwang.
    Dahinter war es so dunkel wie im Bauch einer Kuh. Mond und Sterne warfen einen winzigen Lichtschimmer durch den Türrahmen, doch dahinter gähnte eine samtige Schwärze. Ein paar Schritte von der Tür entfernt stand eine schattenhafte Gestalt. Das Mondlicht berührte nackte Füße, und man konnte die undeutlichen Umrisse eines Mannes schwach erahnen. »Kommen Sie herein, Abner«, drang die Stimme aus der Dunkelheit. Joshuas Stimme war ein krächzendes Flüstern.
    Abner Marsh setzte sich in Bewegung und trat über die Schwelle.
    Der Schatten rührte sich, und plötzlich war die Tür geschlossen. Marsh hörte, wie sie verriegelt wurde. Es war vollkommen dunkel. Er konnte nicht das geringste erkennen. Eine kraftvolle Hand erfaßte seinen Arm und zog ihn mit sich. Dann wurde er nach hinten gestoßen, und er empfand während eines kurzen Augenblicks Angst, bis er unter sich einen Sessel spürte.
    Das Rascheln einer Bewegung in der Dunkelheit. Marsh schaute um sich, blind, bemüht, in der Schwärze etwas zu erkennen. »Ich habe nicht geklopft«, hörte er sich sagen.
    »Nein«, lautete Joshuas Erwiderung. »Ich habe Sie kommen hören. Und ich habe Sie erwartet, Abner.«
    »Er sagte, Sie würden kommen«, erklang eine andere Stimme aus einer anderen Richtung in der Finsternis. Die Stimme einer Frau, weich, bitter. Valerie.
    »Sie!« stieß Marsh verblüfft hervor. Das hatte er nicht erwartet. Er war verwirrt, verärgert, unsicher, und Valeries Anwesenheit machte es ihm noch schwieriger. »Was tun Sie denn hier?« wollte Marsh wissen.
    »Das gleiche könnte ich Sie fragen«, antwortete ihre weiche Stimme. »Ich bin hier, weil Joshua mich braucht, Captain Marsh. Um ihm zu helfen. Und das ist mehr, als Sie getan haben, trotz all Ihrer Worte. Sie und Ihre Leute, mit all dem Mißtrauen, all diesen frommen . . . «
    »Genug, Valerie«, schnitt Joshua ihr das Wort ab. »Abner, ich weiß nicht, warum Sie heute nacht hergekommen sind, aber ich war sicher, daß Sie früher oder später auftauchen würden. Ich hätte wahrscheinlich besser daran getan, einen Dummkopf zum Partner zu nehmen, einen Mann, der widerspruchslos Befehle ausführt. Sie sind zu Ihrem eigenen Schaden wahrscheinlich zu schlau, und auch zu meinem Schaden. Ich wußte, daß es nur eine Frage der Zeit war, bis Sie das Garn entwirrten, das ich für Sie in Natchez gesponnen habe. Ich habe wohl mitbekommen, wie Sie uns beobachtet haben. Ich weiß auch über Ihre kleinen Prüfungen Bescheid.« Er stieß ein rauhes, gequältes Kichern aus. »Weihwasser, ausgerechnet!«
    »Wie . . . Sie wußten alles?« fragte Marsh.
    »Ja.«
    »Dieser verfluchte Junge.«
    »Seien Sie ihm nicht böse. Er hatte wenig damit zu tun, Abner, obwohl ich bemerkt habe, wie er mich die ganze Zeit während des Essens anstarrte.« Joshuas Lachen klang unecht,

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