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Fiebertraum

Fiebertraum

Titel: Fiebertraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R.R. Martin
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des Altertums Sitte gewesen war. Ich blieb am Leben. Jeden Tag lernte ich bei mir neue Fähigkeiten kennen. Meine Wunden heilten schnell, und die Phase der Schmerzen dauerte stets nur kurze Zeit. Mein Blut gerann praktisch augenblicklich, ganz gleich wie groß die Wunde war, die ich mir beigebracht hatte. Was immer ich sein mochte, ein lebendiges Wunder war ich ganz sicher.
    Schließlich fand ich einen Weg. Draußen an meinem Haus brachte ich zwei schwere Eisenketten an der Mauer an. Bei Nacht schloß ich mich in die Handschellen ein und warf den Schlüssel so weit weg, wie ich es vermochte. Das war ein beträchtliches Stück. Ich wartete auf die Dämmerung. Die Sonne war noch schlimmer, als ich sie in Erinnerung hatte. Sie verbrannte und blendete mich. Alles verschwamm, flimmerte. Meine Haut stand in Flammen. Ich glaube, ich fing sogar an zu schreien. Ich weiß, daß ich die Augen schloß. Stundenlang war ich dort draußen und kam dem Tod immer näher. In mir war nichts als das Gefühl einer großen Schuld.
    Und dann, irgendwie, im Fieber meines Todes, beschloß ich am Leben zu bleiben. Wie und warum kann ich Ihnen nicht sagen. Aber mir schien es, als hätte ich immer das Leben geliebt, bei mir und bei anderen. Das war auch der Grund, warum Gesundheit und Schönheit und Jugend mich so sehr angezogen hatten. Ich verabscheute mich selbst, weil ich der Welt den Tod gab, und dennoch war ich wieder im Begriff zu töten, auch wenn diesmal das Opfer ich selbst war. Ich dachte, ich könnte meine Sünden nicht mit noch mehr Blut abwaschen, mit noch einem Tod. Um Buße zu tun, mußte ich leben, mußte ich Leben und Schönheit und Hoffnung in die Welt zurückbringen, damit diese den Platz all dessen einnahmen, was ich der Welt gestohlen hatte. In diesem Moment erinnerte ich mich an die verschwundenen Bediensteten meines Vaters. Es gab in dieser Welt noch andere Vertreter meiner Rasse. Vampire, Werwölfe, Hexenmeister, was immer sie waren, sie trieben sich dort draußen in der Nacht herum. Wie kamen sie wohl mit dem roten Durst zurecht? fragte ich mich. Wenn ich sie doch finden könnte. Wenn ich schon den Menschen nicht trauen konnte, dann wenigstens meiner eigenen Art. Wir könnten uns gegenseitig helfen, das Böse in Schach zu halten, von dem wir besessen waren. Und ich könnte von ihnen viel lernen.
    Ich beschloß also, nicht zu sterben. Die Ketten waren sehr solide. Ich hatte sorgfältig darauf geachtet in der Angst, daß ich mich vielleicht doch den Schmerzen und dem Tod würde entziehen wollen. Doch nun fand ich in meinem Entschluß mehr Kraft als in allem, was ich je erlebt hatte, sogar im Zustand des roten Durstes, wenn er mich peinigte und zu grauenvollen Taten trieb. Ich versuchte, die Ketten zu sprengen, sie aus den Mauern zu reißen, in denen ich sie verankert hatte. Ich zog und zerrte und riß. Sie gaben nicht nach. Es waren starke Ketten. Ich hatte mich seit Stunden in der Sonne aufgehalten. Was mich bei Bewußtsein hielt, kann ich nicht sagen. Meine Haut war schwarz und verbrannt. Der Schmerz war so übermächtig geworden, daß ich ihn bewußt kaum noch spürte. Und ich mühte mich immer noch mit den Ketten ab.
    Endlich brach eine davon aus der Halterung. Die linke. Der Ring, der in die Wand eingelassen war, kam zusammen mit zerbröckeltem Mauerwerk heraus. Ich war zur Hälfte frei. Aber ich war schwach, als würde ich jeden Moment sterben, und ich hatte seltsame Visionen. Ich wußte, daß ich bald das Bewußtsein verlieren würde, und wenn ich erst einmal auf dem Erdboden lag, dann gäbe es für mich kein Hochkommen mehr. Und die rechte Kette schien noch genauso fest und solide zu sein wie zu Beginn meiner Bemühungen, was schon eine kleine Ewigkeit her war.
    Die Kette gab nicht nach, Abner. Dennoch gewann ich die Freiheit und suchte die Sicherheit meines kühlen dunklen Kellers auf, wo ich länger als eine Woche lag und träumte und brannte und mich vor Schmerzen wand, wobei ich jedoch stetig genas. Ich hatte mich sozusagen selbst geopfert. Ich nagte mein eigenes Handgelenk durch und ließ meine rechte Hand zurück, während ich den Stumpf durch die Handschelle zog.
    Als ich, etwa eine Woche später, das Bewußtsein wiedererlangte, hatte ich meine Hand wieder. Sie war weich und klein, nur halb ausgeformt, und sie tat weh. Sie tat schrecklich weh. Aber nach einiger Zeit wurde die Haut fester. Dann schwoll die Hand an, und die Haut knackte und riß, und eine dickliche blasse Flüssigkeit trat heraus. Als sie

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