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Fiebertraum

Fiebertraum

Titel: Fiebertraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R.R. Martin
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Vaters. Endlich wußte ich, was der rote Durst war. Und nur Blut wird ihn stillen, hatte er gesagt. Ich war gesättigt. Ich fühlte mich stärker und gesünder als je zuvor in meinem Leben. Dennoch war mir schlecht, und ich war entsetzt. Ich war inmitten Ihres Volkes aufgewachsen, wissen Sie, und ich dachte genauso wie Sie. Ich war kein Tier, kein Monstrum. An diesem Ort und zu diesem Zeitpunkt beschloß ich, meine Lebensweise gründlich zu ändern, damit so etwas nie wieder geschah. Ich wusch mich und stahl Kleider, die feinsten, die ich finden konnte. Ich zog in Richtung Westen und entfernte mich vom Zentrum der Kämpfe. Dann nach Norden. Tagsüber nahm ich mir Zimmer in Gasthäusern und mietete mir Kutschen, um bei Nacht von Stadt zu Stadt zu fahren. Schließlich, unter den durch den Krieg entstandenen Schwierigkeiten, fand ich den Weg nach England. Ich nahm einen neuen Namen an und beschloß, das Leben eines Gentleman zu führen. Das Geld dazu hatte ich. Den Rest konnte ich erlernen.
    Meine Reisen hatten etwa einen Monat gedauert. In meiner dritten Nacht in London fühlte ich mich seltsam, schlecht. Ich war noch nie in meinem Leben krank gewesen. Die nächste Nacht war noch schlimmer. In der Nacht danach erkannte ich dieses Gefühl schließlich als das, was es in Wirklichkeit war. Der rote Durst hatte mich gepackt. Ich schrie und raste. Ich bestellte mir eine umfangreiche Mahlzeit, ein großes und dickes Stück rotes Fleisch, von dem ich hoffte, daß es meine Gier dämpfen würde. Ich verspeiste es und zwang mich dazu, ganz ruhig zu bleiben. Es war nutzlos. Schon nach einer Stunde war ich draußen auf der Straße. Ich fand eine Gasse, wartete. Eine junge Frau war das erste Wesen, das vorbeikam. Etwas in mir bewunderte ihre Schönheit; dieser Teil meiner Persönlichkeit brannte wie Feuer. Ein anderer Teil hatte ganz einfach Hunger. Ich riß ihr fast den Kopf ab, aber wenigstens war es schnell vorüber. Anschließend weinte ich.
    Monatelang lebte ich in tiefer Verzweifelung. Aus den Büchern wußte ich, was ich sein mußte. Ich hatte diese Worte beim Lesen erfahren und sie mir eingeprägt. Zwanzig Jahre lang hatte ich mich für überlegen gehalten. Nun stellte ich fest, daß ich etwas Unnatürliches war, eine Bestie, ein seelenloses Monstrum. Ich konnte nicht entscheiden, ob ich ein Vampir oder ein Werwolf war, was mich in Verwirrung stürzte. Weder ich noch mein Vater hatten die Fähigkeit gehabt, uns in irgend etwas zu verwandeln, aber der rote Durst überkam mich monatlich mit einer Regelmäßigkeit, die dem Mondzyklus zu entsprechen schien - obwohl der Höhepunkt des Durstes nicht immer genau mit dem Vollmond zusammenfiel. Das war das Charakteristikum des Werwolfs, las ich. Ich informierte mich damals recht umfassend über dieses Thema, las eine Menge und versuchte, mich selbst zu verstehen. Wie der legendäre Werwolf riß ich meinen Opfern oft die Kehle auf und vertilgte eine kleine Menge Fleisch, vor allem dann, wenn der Durst besonders quälend war. Und wenn der Durst nicht in mir wütete, schien ich eine völlig normale Person zu sein, was ebenfalls zu den Erzählungen vom Werwolf paßte. Andererseits machte Silber mir nichts aus und auch nicht der Gelbe Eisenhut, ich veränderte auch nicht meine Gestalt, und mir wuchs kein Fell. Wie der Vampir konnte ich nur nachts unterwegs sein. Und dann kam es mir so vor, als wäre es im Grunde nur das Blut, dem meine Gier galt, und nicht das Fleisch. Aber ich schlief im Bett und nicht im Sarg, und ich hatte ohne Schwierigkeiten bei Hunderten von Gelegenheiten fließendes Wasser überquert. Ich war ganz bestimmt nicht tot, und religiöse Gegenstände übten keine nachteilige Wirkung auf mich aus. Einmal, um ganz sicher zu gehen, nahm ich den Körper eines Opfers mit und war gespannt, ob er als Werwolf oder als Vampir wieder auferstehen würde. Er blieb eine Leiche. Nach einer Weile begann er zu riechen, und ich begrub ihn.
    Sicherlich können Sie sich mein Grauen vorstellen. Ich war kein Mensch, aber ich war auch keine dieser legendären Kreaturen. Ich entschied, daß meine Bücher für mich nutzlos waren. Ich war allein auf mich gestellt.
    Monat für Monat überkam mich der rote Durst. Jene Nächte waren voll eines schrecklichen Triumphierens, Abner. Indem ich Leben raubte, lebte ich so intensiv wie noch nie zuvor. Aber es kam immer die Zeit nachher, und dann wurde ich von Abscheu über das geschüttelt, was ich geworden war. Ich mordete die Jungen, die

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