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Fiebertraum

Fiebertraum

Titel: Fiebertraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R.R. Martin
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getrocknet und abgezogen war, sah man darunter festeres und gesünderes Fleisch. Dreimal geschah dies. Der Prozeß dauerte mehr als drei Wochen, aber als er abgeschlossen war, wären Sie niemals auf die Idee gekommen, daß mit meiner Hand überhaupt etwas passiert war. Ich war verblüfft.
    Das geschah im Jahr 1812 und bedeutete einen Wendepunkt in meinem Leben.
    Als ich meine Kräfte wiederhergestellt hatte, stellte ich fest, daß ich mit einem großen Entschluß aus den Strapazen hervorgegangen war: mein Leben und das meines Volkes zu ändern, uns von dem zu befreien, was mein Vater den ›roten Durst‹ genannt hat, und uns in die Lage zu versetzen, das Leben und die Schönheit wiederherzustellen, die wir der Welt geraubt hatten. Um dies zu tun, mußte ich erst andere Angehörige meiner Rasse zusammensuchen, und die einzigen anderen, die ich kannte, waren die verschwundenen Bediensteten meines Vaters. Doch eine Suche war zum damaligen Zeitpunkt noch nicht möglich. England führte mit dem Französischen Reich Krieg, und es gab zwischen den beiden Nationen keinen Handel. Die erzwungene Verzögerung machte mir nichts aus. Ich wußte, daß ich alle Jahre zur Verfügung hatte, die ich brauchte.
    Während ich abwartete, nahm ich das Studium der Medizin auf. Natürlich war über mein Volk nichts bekannt. Sogar unsere Existenz gehörte ins Reich der Legende. Aber es gab über Ihre Rasse soviel zu lernen, die der unseren so ähnlich und zugleich doch so verschieden davon war. Ich freundete mich mit einer Reihe Ärzte, einem führenden Chirurgen der damaligen Zeit, einigen Lehrern einer bekannten medizinischen Fakultät an. Ich las medizinische Texte, alte und neue. Ich arbeitete mich in die Chemie, Biologie, Anatomie, sogar in die Alchemie ein und suchte nach Erkenntnissen. Für bestimmte Experimente baute ich mir ein eigenes Labor in dem Raum ein, den ich als mein schicksalhaftes Gefängnis benutzt hatte. Nun, wenn ich ein Leben raubte - was ich jeden Monat tat -, nahm ich die Leiche mit, wann immer es möglich war, um sie zu untersuchen, sie zu sezieren. Wie sehr ich mir eine Leiche eines Mitglieds meiner eigenen Rasse wünschte, Abner, damit ich die Unterschiede aufspüren konnte!
    Im zweiten Jahr meiner Studien schnitt ich mir einen Finger von der linken Hand ab. Ich wußte ja, daß er wieder nachwachsen würde. Ich wollte eine Probe meines Fleisches, um es zu untersuchen und zu analysieren.
    Ein abgetrennter Finger reichte nicht aus, um ein Hundertstel meiner Fragen zu beantworten, aber der Schmerz lohnte sich dank dessen, was ich erfahren konnte, auf jeden Fall. Knochen, Fleisch und Blut wiesen deutliche Unterschiede zum Menschen auf. Das Blut war heller, ebenso das Fleisch, und ihm fehlten einige Bestandteile, die man im menschlichen Blut fand. Die Knochen enthielten hingegen mehr Elemente als ihre menschlichen Entsprechungen. Sie waren kräftiger und biegsamer als menschliche Knochen, Sauerstoff, dieses Wundergas von Priestley und Lavoisier, war im Blut und im Muskelgewebe in weit höherem Grad vorhanden als in entsprechenden Proben von Körpern Ihrer Rasse.
    Ich hatte keine Ahnung, welche Schlüsse sich daraus ergeben mochten, jedoch entwickelte ich einige verrückte Theorien. Mir schien es, als stünde der Mangel in meinem Blut in einer Beziehung zu meinem Drang, das Blut anderer Wesen zu trinken. In diesem Monat, als der Durst gekommen und wieder verflogen war und ich mir mein Opfer geholt hatte, fügte ich mir selbst eine Wunde zu und untersuchte die Blutprobe. Die Zusammensetzung meines Blutes hatte sich verändert! Irgendwie hatte ich das Blut meines Opfers in mein eigenes verwandelt, hatte es dickflüssiger gemacht, es angereichert, zumindest für eine gewisse Zeit. Danach nahm ich täglich Blutproben von mir selbst. Meine Untersuchungen ergaben, daß mein Blut von Tag zu Tag dünner wurde. Vielleicht verhielt es sich so, daß der rote Durst sich einstellte, wenn das Verhältnis einen bestimmten kritischen Punkt erreichte, vermutete ich.
    Meine Annahme ließ jedoch viele Fragen unbeantwortet. War Tierblut ungeeignet, um den Durst zu stillen? Oder gar Menschenblut, das aus einer Leiche stammte? Verlor es im Tode von seinem Gehalt? Warum hatte der Durst mich nicht schon vor meinem zwanzigsten Geburtstag überkommen? Was war in all den Jahren vorher gewesen? Ich kannte keine einzige Antwort, wußte auch nicht, wo ich sie zu suchen hatte, doch nun hatte ich wenigstens eine Hoffnung, einen Anfang. Ich begann,

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