Fiese Finsterlinge
Knochen. Aber als sie über die Werferplatte hinwegwogten, spürte Nate noch ein anderes verzweifeltes Gefühl, das nichts mit der Kälte zu tun hatte. Er wusste nicht, was es bedeutete oder woher es kam, aber plötzlich begann sein Herz zu rasen. Zuerst glaubte er, das Gefühl hätte mit Nikolais Stromschlag zu tun. Dann trat Richie zu ihm heran und packte seine Schulter.
»Ich fühl mich plötzlich, als müsste ich gleich kotzen!«, rief Richie. »Was hat das zu bedeuten?«
»Ich weiß es nicht!«, brüllte Nate gegen Wind und Wellen an. »Aber mir geht es genauso!«
Pernikus stand am Bug und deutete in die Tiefe.
»Was ist dort?«, rief Nate.
Im aufgewühlten Wasser war es schwer zu erkennen, aber als das Boot an der Stelle vorbeikam, auf die Pernikus deutete, erhaschte Nate einen kurzen Blick auf einen Batikstofffetzen.
»Lilli!«, brüllte er.
»Sandy!«, brüllte Richie im selben Moment und deutete auf die nicht überdachte Tribüne. Sandy kauerte auf der Betonstufe unterhalb der bewusstlosen Arbeiter, die sie und Lilli dort hinaufgeschleppt hatten, und die gierigen Wellen umspülten ihre Füße.
Unter dem Boot brodelten die wütenden Wassermassen, aber sie konnten in dem geschlossenen Stadion nicht genug Schwung entwickeln, um das Gefährt umzuwerfen. Unter dem Stadiondach sammelte Sparky sich für einen weiteren Blitzschlag. Und ringsum tobte Flappy, schleuderte Trümmer durch die Luft und verursachte so heftige Windstöße, dass Pernikus sich am Querbalken festklammern musste.
Das Wasser stand inzwischen so hoch, dass Nate aus dem Stadion auf Seattles Zentrum blicken konnte. Die Spitzen der Wolkenkratzer waren noch zu erkennen, aber der Rest war komplett überschwemmt. Er konnte es nicht fassen, mit welcher Kraft das Meer herangeflutet war. Es führte Krieg gegen die anderen Elemente, wollte den verteufelten elektrischen Dämon vernichten und schnaubte vor Wut ob des schwer fassbaren Windes. Es tötete gedankenlos Menschen, ohne jedes Mitgefühl, während es sein Ziel verfolgte, die anderen Elemente auszulöschen. Nate schauderte, als ihn eine Erkenntnis überkam – die Fluten, die Seattle zerstörten, waren dasselbe unaufhaltbare, herzlose Monster, das seine Eltern in den Tod gerissen hatte. Er hatte dem Wind die Schuld dafür gegeben. Er hatte Dhaliwahl die Schuld gegeben. In gewisser Weise hatte er sogar sich selbst die Schuld dafür gegeben. Aber letztlich war es die kalte See gewesen, die ihm die Eltern geraubt hatte. Er blickte himmelwärts zu seinem loyalen Freund und Gehilfen.
»Flappy! Es tut mir leid! Ich brauche deine Hilfe!«
Als nichts geschah, fragte sich Nate, ob sein Ruf in all dem Lärm untergegangen war oder ob Flappy ihn ignorierte. Empfinden Dämonen Stolz?, fragte er sich. Ließ Flappy ihn im Stich, genauso wie er Flappy im Stich gelassen hatte?
Nate besaß keine Superkräfte. Er war kein Zauberer. Seine einzige Fähigkeit bestand darin, das Chaos wahrzunehmen, vielleicht auch, es zu begreifen. Ringsum tobte der Sturm. Der Wind, die See und die Blitze, alle rangen
sie um den Flecken Erde, den die Menschen Seattle nannten.
Erde…, dachte Nate.
»Fahr zur Tribüne!«, befahl er Richie, zerrte ihn ans Steuerrad und deutete auf Sandy. »Volle Kraft voraus!« Nate drückte schnell den Gashebel nach vorn und sprang vom Boot, mitten hinein ins Herz des Plansch.
Die Welt wurde still und kalt, als er mit entschlossenen Schwimmzügen in den Wasserdämon hinabstieß, die Augen weit aufgerissen, in alle Richtungen Ausschau haltend. Er versuchte zu spüren, wo Lilli war, doch er war umgeben von der schieren Essenz des monströsen Dämons. Nates ausgeprägtes Gespür wurde von dessen Leblosigkeit gedämpft. Sonderbarerweise konnte der Plansch Nate nicht angreifen, während der im Innern des Ungetüms war. Seine gewalttätigen Kräfte bestanden darin, Land zu überfluten und auf ahnungslose Opfer herabzukrachen. Nate dachte, dass er, wenn er unter Wasser atmen könnte, sich ewig im Bauch des Monsters würde treiben lassen können, ohne dabei zu Schaden zu kommen. Fast verleitete der Gedanke ihn, es einfach zu versuchen.
Aber dann sah er Lilli unter ihm im Wasser treiben, ihre wallende Kleidung flatternd wie eine Engelsrobe. Es riss ihn aus seiner Trance, und plötzlich meldete sich seine brüllende Lunge. Er konnte nicht unter Wasser atmen, und Lilli konnte es auch nicht.
Über ihm lag Richie rücklings auf dem Deck, umgeworfen, als Nate den Gashebel nach vorne geschoben hatte und
Weitere Kostenlose Bücher