Fieses Karma
lächelt, und kann sogar ihre Lippen lesen, während sie »Aber natürlich« sagt. Sie macht die Haustür weiter auf und lässt Angie und Jade eintreten.
Ich hole tief Luft und zähle langsam bis hundert. Dann öffne ich leise die Fahrertür und steige aus. Plötzlich bin ich sehr froh über die hässlichen schwarzen Turnschuhe, die Jade mir aufgezwungen hat, denn die Gummisohlen verschlucken meine Schritte auf dem Asphalt.
Etwa jetzt müsste Angie Mrs Campbell bitten, die Toilette benutzen zu dürfen. Dann wird sie aus der Küche verschwinden, ins Bad gehen und mir das Fenster aufmachen.
Wegen meiner nicht sonderlich angenehmen Vorgeschichte mit Mason und Heather haben wir einstimmig beschlossen, dass ich unter keinen Umständen von einem Familienmitglied dieses Hauses gesehen werden darf. Denn falls Heathers Mutter ihrer Tochter gegenüber zufällig erwähnen sollte, dass ich vorbeigekommen bin (egal, wie gut unsere Schulprojekt-Ausrede auch immer sein mag), würde sie das automatisch argwöhnisch machen, und dann würde alles auffliegen. Deswegen haben wir beschlossen, dass ich das Haus auf andere Weise betrete.
Während ich ums Haus schleiche, halte ich die Dose fest in der Hand und achte darauf, mich unter den Fenstern im Erdgeschoss zu ducken. Als ich unter dem Küchenfenster bin, höre ich Jades Stimme sagen: »Ja, Honig-Nuss-Zerealien scheinen bei Familien äußerst beliebt zu sein. Von den zehn Häusern, die wir bisher aufgesucht haben, hatten sieben mindestens eine Variante davon vorrätig. Wenn Sie mir jetzt bitte zeigen könnten, welches Geschirrspülmittel Sie bevorzugen.«
Wie zu erwarten war, zieht Jade mit ihren perfekten Schauspielkünsten die Scharade einwandfrei durch.
Es dauert eine Weile, bis ich die Rückseite des Hauses erreicht habe. Zum Teil, weil ich mich sehr vorsichtig vorantaste, um ja keine überflüssigen Geräusche zu machen, aber der Hauptgrund ist die unglaubliche Größe des Anwesens.
Ich biege gerade um die Ecke des Hauses und erkenne das Fenster mit dem goldenen Stern aus der Zeichnung wieder, als mir plötzlich ein beängstigender Gedanke kommt. Ich bleibe stehen und sehe mich beunruhigt um. Wie Angie gezeichnet hat, grenzt das Haus an ein Wäldchen. Das bedeutet, dass es zum Glück keine Nachbarn gibt und dass niemand beobachten kann, was ich gleich tun werde. Als wir die Aktion geplant haben, fand ich das sehr beruhigend. Doch jetzt, wo ich tatsächlich hier stehe und meine Hand die Hauswand berührt, bildet sich ein großer Klumpen in meiner Magengrube. Es ist, als würden die Tausende Schmetterlinge, die bisher in meinem Bauch umhergeflattert sind, plötzlich innehalten und sich in eine riesige schwere Last verwandeln.
Was ist, wenn ich doch erwischt werde?
Was ist, wenn meine »Nachttarnung« nicht gut genug ist und mich jemand sieht ? Kann ich für so was tatsächlich ins Gefängnis kommen?
Nein! , widerspricht mir meine innere Stimme. Das würde Mrs Campbell nie zulassen. Sicher bräuchte ich mir nur irgendeine müde Ausrede einfallen lassen, wie es dazu kam, dass ich durch das Badfenster ihrer Tochter eingestiegen bin … in schwarzen Klamotten. Dafür gibt es garantiert irgendeine glaubwürdige Erklärung.
Doch mein Kopf ist total leer. Denn in Wahrheit gibt es für so etwas keine plausible Ausrede. Zumindest keine, bei der ich nicht wie eine verrückte Stalkerin aussehe.
Vielleicht werden Angie und Jade mir wenigstens Päckchen in den Knast schicken. Solche mit echter Seife und angenehm duftenden Waschlotionen gegen den Gestank meines verdreckten orangefarbenen Häftlingsanzugs. Vielleicht wird meine kleine Schwester Emily so nett sein, auf dem Boden eines Geschenkkorbs einen Edelstahllöffel zu verstecken, mit dem ich mich innerhalb der nächsten fünf Jahre aus meiner Zelle rausgraben kann.
In Gedanken übe ich schon mal, was ich zu meinen Eltern sagen werde, wenn sie mich im Knast besuchen. Da sehe ich, wie sich das Fenster vor mir öffnet und Angies Kopf erscheint. Sie winkt mir hastig zu. Ich erwache aus meiner Trance und erinnere mich daran, dass wir keine Zeit für Paranoia haben. Tapfer unterdrücke ich meine Ängste und husche schnell ans offene Fenster. Ich reiche Angie die Plastikdose und ziehe mich auf den Fenstersims hinauf. Mit dem Kopf zuerst und nicht ganz so anmutig, wie ich es mir vorgestellt hatte, hieve ich meinen Oberkörper durch die Fensteröffnung. In dem Moment, in dem ich in der Luft hänge – die Füße noch vor dem Haus, aber
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