Fifth Avenue--Ein Thriller (German Edition)
Leana an der Ecke von Mulberry und Prince. Es war dunkel, ein leichter
Regen fiel, und der Verkehr auf den beiden Straßen brummte in ihren Ohren.
Zwölf
Stunden waren verstrichen, seit sie die Waffe erhalten hatte. Zwölf Stunden der
Entscheidung und Unentschiedenheit waren vergangen. Und in zwölf Stunden würde
der Mann seine Drohung wahrmachen.
Sie
sah sich um.
Altersschwache
Ziegelsteingebäude bildeten die Front der beiden Straßen. Irgendwo weiter weg
weinte, schrie und brüllte eine Frau. Leana fielen die Männer auf, die an ihr
vorübergingen, und sie spürte, dass auch sie von ihr Notiz nahmen. Obwohl sie
sich die größte Mühe gegeben hatte, hierher zu kommen, ohne dass man ihr
folgte, wusste sie sehr wohl, dass jeder dieser Männer derjenige sein konnte,
der ihr die Waffe geschickt hatte.
Sie
nahm ihr Mobiltelefon aus der Innentasche ihrer Jacke und spürte die Waffe, die
sie zuvor dort hineingesteckt hatte. Wenn der Mann aus irgendeinem Grund schon
heute Abend seinen Auftrag erledigen wollte, dann würde sie ihn mit seiner eigenen
Waffe töten.
Wenn ich die Chance dazu habe.
Sie
fand seine Nummer, drückte darauf, hörte ein Klicken, und am anderen Ende
begann es zu klingeln. Sie wartete, dass jemand abnahm. Der Regen peitsche in
Strömen auf sie, drang durch ihre Kleider und ließ sie bis auf die Knochen
frieren. Sie konnte die Frau nicht länger schreien hören. Er war, als hätte man
ihre Stimme erstickt. Ein Mann näherte sich ihr auf dem Gehsteig, verlangsamte
seinen Schritt, als er auf gleicher Höhe mit ihr war, und zeigte ein Lächeln,
das schon nicht mehr existierte, als er an ihr vorbei war.
Leana
wandte sich ab. Sie spürte, wie die Waffe gegen ihre Rippen drückte. Sie begann
zu zittern.
Endlich
meldete sich eine Frau. Leana erkannte die Stimme sofort und wusste, sobald sie
sprechen würde, würde auch die Frau ihre Stimme wieder erkennen. Dennoch
zögerte sie keinen Augenblick und erkundigte sich nach dem Mann, den sie schon
früher hätte anrufen sollen – nach dem einzigen Mann, der ihr jetzt noch
helfen konnte. „Ich muss mit Mario sprechen,” sagte sie zu dessen Frau. „Sagen
Sie ihm, hier ist Leana Redman. Sagen Sie ihm, es ist dringend.”
Aber
am anderen Ende hatte man schon aufgelegt.
* * *
„Wer
war das am Telefon?”
Lucia
De Cicco drehte sich überrascht um, als Mario vom Foyer in die Küche trat. Sein
Haar, Gesicht und die schwarze Lederjacke tropften vom Regen. In seiner Hand
hatte er die Vierliter-Eiscremepackung, die sie ihn zu kaufen gebeten hatte.
„Ich
habe gefragt, wer das war.”
„Niemand,”
sagte sie. „Die haben aufgelegt.”
Sie
trat vom Telefon weg und löschte aus ihrem Gesicht alle Anzeichen des Zorns,
der noch vor ein paar Sekunden in ihr hochgestiegen war. Lucia wusste, um ihren
Ehemann zu halten, musste sie alle Wut und alle Eifersucht in sich unterdrücken
und so tun, als gäbe es eine Frau namens Leana Redman überhaupt nicht.
Mario
zog Jacke und Schuhe aus. „Du weißt, dass ich nicht möchte, dass du ans Telefon
gehst,” sagte er. „Nicht nach dem, was letzte Woche passiert ist.”
Es
dauerte einen Moment, bis Lucia das Bild der drei Dutzend schwarzer Rosen
auslöschen konnte, die sie durch einen Boten erhalten hatte. „Darüber möchte
ich nicht sprechen.”
„Glaubst
du nicht, dass es langsam an der Zeit wäre, dass wir das täten?”
„Eigentlich
nein.”
Barfuß
durchquerte sie das Zimmer und nahm ihrem Mann das Eis aus der Hand. Jahrelang
hatte sie sich mit einer Zuversicht bewegt, die nur wahrer Schönheit eigen ist,
doch jetzt war sie sich ihrer selbst auf komische Weise bewusst.
„Was
für eine Sorte hast du gekauft?”
„Toffee
mit Milchschokolade,” sagte er. „Wechsle aber nicht das Thema. Wir werden jetzt
darüber reden.”
Sie
ging zu der großen Insel im Zentrum der Küche, nahm zwei Schälchen aus dem
Schrank und einen silbernen Löffel aus der Schublade. Sie schöpfte das Eis in
die Schälchen, blickte Mario an und dann hinüber zum Telefon. Mario setzte sich
auf den Hocker ihr gegenüber. Sie spürte, dass er sie anstarrte und sagte:
„Sieh her, Mario. Ich habe mit deinem Vater gesprochen und ich habe mit deinen
Brüdern gesprochen. Was mich betrifft, so ist das, was vergangene Woche
geschehen ist, nie passiert.”
„Aber
es ist passiert.”
Sie
konzentrierte sich auf ihr Eis.
„Man
hat dir eine Morddrohung geschickt, Lucia. Jemand will dich umbringen, und wir
müssen darüber
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