Fifth Avenue--Ein Thriller (German Edition)
Straßennamen
verbrannt.
Der
Wagen beschleunigte die Madison Avenue hoch und bog in die Sechzigste Straße
ein, von wo aus er in die Fünfte einmündete. Während sie die Avenue
hinunterfuhren, betrachtete Michael die Menschen auf dem Gehsteig, blickte in
die beleuchteten Schaufenster und erinnerte sich an das, was Spocatti ihm in
der Toilette gesagt hatte. Der Portier
heißt Joseph. Er ist groß, hat dunkles Haar und einen buschigen Schnurrbart. Er
erwartet Sie. Wenn Sie ihn sehen, tun Sie so, als ob Sie einander bereits
kennen.
Der
Wagen hielt am Bordstein.
Michael
schaute aus dem Fenster und bemerkte einen livrierten Portier, der auf sie
zueilte. Einen Moment lang schien sein Herz auszusetzen. Der Mann war klein und
hatte eine Glatze.
Er
schaute an dem Mann vorbei und zu den vergoldeten Doppeltüren. Dort sah er
einen anderen Pförtner, der am Eingang stand; der war jung und blond.
Die
Tür wurde geöffnet. „Mr. Archer,” sagte der Mann. „Wir freuen uns, dass Sie
wieder hier sind.”
Michael
hatte keine andere Wahl; er musste das Spiel mitspielen. Er stieg aus dem
Wagen.
„Und
Sie müssen Mrs. Archer sein,” sagte der Mann und schaute an Michael vorbei. „Es
ist eine Ehre, Sie kennen zu lernen.”
Als
Leana aus der Limousine stieg, schoss der Mann Michael ein vertrauliches und
wissendes Lächeln zu. „Sie ist genauso schön, wie Sie gesagt haben, Mr.
Archer.”
Michael
brachte seinerseits ein Lächeln zustande und hasste Spocatti nun mehr denn je.
„Wo ist Joseph?” fragte er. „Ich dachte, er hätte heute Abend Dienst.”
„Grippe,”
sagte der Mann. „Wir hoffen, dass er morgen wieder arbeiten kann. Lassen Sie
mich mit Ihrem Gepäck helfen.”
Sie
nahmen einen Aufzug in den fünfzigsten Stock. Als Michael in die Wohnung trat,
fand er sie so luxuriös eingerichtet, wie Spocatti sie ihm beschrieben hatte.
Sie war mit Gegenständen angefüllt, die mit denjenigen vergleichbar waren, die
er vor ein paar wenigen Wochen an die Bank verloren hatte.
Er
schaute sich um, und es kam ihm so vor, als ob das Apartment bewohnt wäre,
obschon Spocatti gesagt hatte, dass man es erst heute Morgen eingerichtet habe.
Leana
legte ihre Handtasche auf einen Beistelltisch. Sie ging zur Mitte des Foyers
und begutachtete den Raum mit einem umfassenden Blick. „Hier wohnst du also,”
sagte sie.
Michael
streckte ihr die Hände engegen. Sieht
ganz danach aus, dachte er.
* * *
Als
er sich in dieser Nacht neben Leana ins Bett legte, wollte der Schlaf sich
nicht einstellen. So viele Gedanken schwirrten in seinem Kopf umher, dass er
wusste, er würde den Verstand verlieren, wenn er sich mit ihnen abgeben würde.
Stattdessen
ließ er seine Gedanken zu seiner Mutter schweifen. Manchmal dachte Michael,
wenn er sie nur wiedersehen und mit ihr sprechen könnte, wäre es auch ihm
möglich, die Wut zu fühlen, die sein Vater schon jahrelang in sich trug, und er
könnte mit dem, was er hier tat, fortfahren, denn er würde wissen, dass das,
was sein Vater ihm schwor, die Wahrheit war.
Aber
seine Mutter starb, als er drei Jahre alt war. Die wenigen Erinnerungen, die er
an sie hatte, waren lediglich Fragmente, die die Zeit getrübt hatte.
Aber
an einiges konnte er sich doch erinnern – wie sie lächelte, die
Spielsachen, mit denen sie ihn überhäufte, die hübschen Baumwollkleider, die
sie trug. Er wünschte, er könnte sich an mehr erinnern, aber es gelang ihm
nicht. Es war sein Vater, der seine Kindheitserinnerungen beherrschte.
Michael
schloss die Augen und entließ seine Gedanken in die Dunkelheit.
Er
erinnerte sich ...
Er
war ein Kind, und sein Vater kam auf ihn zu, machte den Gürtel auf und sagte
mit seiner vom Whiskey durchsetzten Stimme, dass er wünschte, Michael wäre nie
geboren worden.
Er
erinnerte sich ...
Es
war an einem verschneiten Spätabend im Februar, und er konnte das betrunkene
Weinen seines Vaters im Nebenzimmer hören, und wie er immer wieder den Namen
seiner Frau vor sich hinsprach, so als würde sie das zurückbringen.
Er
erinnerte sich ...
Er
war achtzehn Jahre alt und saß in einem Bus, der nach Hollywood unterwegs war.
Diesen Tag würde Michael nie vergessen – die verbrauchte, rauchige Luft
in dem Bus, die endlos scheinenden Stunden auf der Straße. Jeder einzelne
Aspekt war besser als das Gefängnis, in das sein Vater ihn gesperrt hatte. Als
der Bus von Grand Central losfuhr, wurde er Michael Archer, und er schwor sich,
dass sein Vater sein Leben nie wieder
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