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Fillory - Der König der Zauberer: Roman (German Edition)

Fillory - Der König der Zauberer: Roman (German Edition)

Titel: Fillory - Der König der Zauberer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lev Grossman
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Iris stand auf und versuchte die Tür zu öffnen, die Julia verriegelt hatte. Sie war abgeschlossen. Iris fluchte und durchquerte das Lange Büro hinüber zur offenen Tür, ohne sich umzudrehen oder ein Wort zu sagen. Julia sah ihr nach, als sie hinausging.
    Es gab keinen Moment rührender weiblicher Solidarität. Der erfahrene Sergeant klopfte dem Grünschnabel nicht auf die Schulter und gab zu, dass der Neuling eines Tages ein tapferer Soldat werden würde. Doch als sich Julia am nächsten Tag um acht im Langen Büro meldete, wurde ohne große Worte deutlich, dass das Alpha-Mädchen-Gehabe überflüssig geworden war.
    Jetzt wurden neue Level erklommen. Zeit für die großen Geheimnisse. Und diesmal brauchte Julia dafür nicht mit jemandem ins Bett zu gehen.
    Sie musste nicht mal stehen: Offenbar hatte sie sich für eine sitzende Position qualifiziert. Julia und Iris saßen sich auf Stühlen an einem soliden Tisch gegenüber, einem ehemaligen Metzgertisch. Darauf lag tatsächlich ein Ringordner, aber der schönste, den Julia je gesehen hatte: ledergebunden und mit soliden Ringen, nicht der übliche Billigkram, und vor allem dick, dick, dick. Der Ordner war gefüllt mit fein säuberlich transkribierten Zauberformeln.
    Unter Iris unverwandtem Blick steigerte sich Julia an jenem Tag um zwei Level. Am nächsten Tag um fünf. Jedes Level, das sie erklomm, löschte ein wenig von ihren Qualen in Brooklyn aus. Julia besaß einen hungrigen Verstand, schon seit jeher, der jedoch seit undenklichen Zeiten von Hungerrationen zehren musste. Julia hatte schon Angst gehabt, ihr Gehirn könne verhungern und seine Plastizität verlieren, so dass es nicht mehr in der Lage wäre, mit großen Portionen harter Fakten angemessen umzugehen. Doch inzwischen machte sie sich keine Sorgen mehr. Eher hatten sie ihre Irrfahrten durch den Informationsdschungel abgehärtet und leistungsstark werden lassen. Sie war daran gewöhnt, aus wenig viel zu machen. Jetzt, wo sie viel hatte, würde sie damit Wunder bewirken. Und das tat sie.
    Es war frustrierend, Formeln zu pauken, während die anderen unterwegs waren und Gott weiß was unternahmen. Julia durchlief neue Kraftfelder, ja, tanzte hindurch, gierte aber bereits danach, es den anderen gleichzutun. Ständig wollte sie vorhetzen, und Iris musste sie zurückhalten und sie dazu zwingen, die Level der Reihe nach abzuarbeiten. Dabei war es doch so offensichtlich, dass man nur die kinetischen Elemente von Level 112 mit den reflexiven Teilen des selbsterwärmenden Zaubers von Level 44 kombinieren musste, und schon schwebte man einen Meter über dem Boden. Aber das kam erst auf Level 166, und bis dahin waren es noch 54  Schritte.
    Während dieser Zeit behandelten die anderen Julia wie ein kleines Kind, das nicht alles hören durfte. Wann immer sie aus dem Fenster des Langen Büros blickte, schienen Pouncy und Aschmodai vorbeizugehen, vertieft in eines der offensichtlich interessantesten Gespräche in der Geschichte der mündlichen Kommunikation. Entweder sie schliefen miteinander – obwohl Aschmodai sogar in Frankreich als Minderjährige gegolten hätte, aber egal –, oder es war etwas im Gange, für das Julia noch nicht bereit war. Die Gespräche verstummten, wenn sie den Speisesaal betrat. Nicht, dass die anderen sich nicht freuten, sie zu sehen, aber Julia hatte offenbar die Fähigkeit entwickelt, Leute spontan vergessen zu lassen, was sie gerade sagen wollten. Sie behalfen sich stattdessen mit Bemerkungen über das Wetter, den Kaffee oder Aschmodais Augenbrauen.
    Eines Nachts erwachte Julia gegen zwei Uhr morgens aus dem Tiefschlaf – abends war sie so müde vom Lernen mit Iris gewesen, dass sie sofort auf ihr Zimmer gegangen war und das Abendessen verschlafen hatte. Zunächst glaubte sie, ein Handy melde sich mit Vibrationsalarm, allerdings besaß sie kein Handy. Dann wurden die Vibrationen stärker und immer stärker, so dass das ganze Haus etwa alle fünf Sekunden wackelte. Es klang so wie zu Hause in Brooklyn, wenn draußen auf der Straße Autos mit wummernden Bässen aus überdimensionierten Subwoofern im Kofferraum vorbeifuhren. Gegenstände begannen zu klappern. Es war, als näherten sich jemand mit Riesenschritten dem Haus, quer über die schlafenden Felder von Murs hinweg.
    Das Ganze dauerte an die zwei Minuten. Die Erschütterungen wurden immer stärker, bis die Geräuschquelle, was immer es war, sich direkt über ihr befand. Die Fenster klirrten, bis sie dachte, die alten Scheiben

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