Fillory - Der König der Zauberer: Roman (German Edition)
nicht den Mut und den Willen aufbrachten, es draußen zu schaffen. Sie nannten es Fakebills und Breakballs. In Brakebills saß man in Hörsälen und hielt sich an die Regeln. Prima, wenn man auf so etwas stand, aber hier in Murs schufen sie sich ihre eigenen Vorschriften und ließen sie sich nicht von einem Lehrerkollegium bevormunden. Brakebills war die Beatles, Murs die Stones. Brakebills war für die Typen, die gern nach den klassischen Regeln boxten, Murs mehr für die eiskalten Streetfighter.
Die meisten hatten sogar, genau wie Julia, an der Aufnahmeprüfung in Brakebills teilgenommen, es jedoch im Gegensatz zu ihr nicht gewusst, bis sie nach Murs kamen. Dort riss ihnen Falstaff mit seiner besonderen Begabung für Erinnerungszauber den magischen Schleier weg, der ihr Gedächtnis vernebelte. Die Abgewiesenen bildeten sich in gewisser Weise etwas darauf ein. Gummidgy (Julia fand nie heraus, was es mit ihrem Namen auf sich hatte) behauptete sogar, die Prüfung geschafft, aber anschließend Foggs Angebot eines Studienplatzes abgelehnt zu haben. Ein historischer Einzelfall. Gummidgy hatte sich stattdessen für das Leben als Halbhexe entschieden.
Insgeheim hielt Julia das für völlig bescheuert. Sie glaubte, dass die Brakebills-Studenten wesentlich mehr auf dem Kasten hatten, als die anderen ihnen zugestanden. Doch den Snobismus genoss sie trotzdem. Den hatte sie sich verdient.
Sie waren schon ein seltsamer Haufen dort in Murs, die reinste Menagerie. Um aufgenommen zu werden, musste man absolut hochbegabt sein, aber Exzentrizität war kein Hindernis. Die Mühle der Safehouses überstand sowieso keiner, ohne ein bisschen plemplem zu werden. Von ihrer Zauberkunst war vieles hausgemacht, was zu einer erstaunlichen Vielfalt an Stilen und Techniken führte. Manche waren elegant und graziös, andere so minimalistisch, dass man kaum eine Bewegung sah. Ein Typ zappelte so wild, dass es aussah wie Breakdance, mit Getöse und wilden Verrenkungen.
Manche hatten sich spezialisiert. Einer stellte zum Beispiel hauptsächlich magische Gegenstände her. Gummidgy war eine begabte Hellseherin. Fiberpunk – ein kleiner Dicker, fast genauso breit wie hoch – bezeichnete sich als Metamagier: Er beherrschte die Kunst, einen fremden oder eigenen Zauber zu beeinflussen. Er sprach wenig und verbrachte viel Zeit mit Zeichnen. Einmal blickte Julia ihm über die Schulter, und er erklärte flüsternd, er zeichne eine zweidimensionale Abbildung dreidimensionaler Schatten, die von vierdimensionalen Objekten geworfen würden.
Das Leben in Murs war angenehm, die Arbeit jedoch hart. Julia wurde ein Tag gegönnt, um sich von ihrem Jetlag zu erholen und sich umzusehen. Dann richtete ihr Pouncy aus, sie solle sich am nächsten Morgen im Ostflügel melden. Julia gefiel es nicht, von Pouncy Silverkitten die Anweisung zu erhalten, sich irgendwo zu melden. Schließlich betrachtete sie ihn als Freund und ihresgleichen. Doch er knöpfte nur sein Hemd auf und zeigte ihr seine Sterne. (Und dabei seine aufreizend glatte, muskulöse Brust.) Es waren unglaublich viele. Sie mochten gleich sein, aber nur in einem abstrakten philosophischen Sinn. Magisch gesehen war sie ein Niemand gegen ihn.
Daher schluckte Julia ihren Stolz herunter und dazu womöglich noch einige andere Gefühle, gehorchte Pouncy und meldete sich um acht Uhr morgens in einem Raum im Obergeschoss des Ostflügels, der als das Lange Büro bekannt war.
Das Lange Büro war ein schmaler Raum mit einer Reihe von Fenstern auf einer Seite – eher eine Art Galerie. Eine Büroeinrichtung suchte man vergeblich. Es gab weder Bücher noch einen Schreibtisch, noch sonst irgendwelche Möbel im Langen Büro. Es gab nur Iris.
Die rundgesichtige Eliteschülerin Iris mit den Essstäbchen im Haar, die bei ihrem letzten Auftritt im Bed-Stuy-Safehouse Julia in ihre Einzelteile zerlegt hatte. Es war fast wie das Wiedersehen mit einer alten Freundin. Auf heimischem Boden kleidete Iris sich locker in Jeans und weißes T-Shirt, das ihre Sterne zur Geltung brachte.
»Hallo«, grüßte Julia. Es kam etwas streitsüchtig heraus. Sie räusperte sich und versuchte es erneut: »Wie geht’s?«
»Lass uns noch mal von vorne anfangen«, sagte Iris. »Von unten. Zuerst der Blitz.«
»Der Blitz?«
»Wir gehen deine Level durch. Fang mit dem Blitz an. Wenn du einen Zauber vermasselst, musst du noch mal von vorn anfangen. Wenn du alle siebenundsiebzig dreimal hintereinander fehlerlos schaffst, können wir mit der
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