Fillory - Der König der Zauberer: Roman (German Edition)
besonders Notiz von ihnen. Julia fühlte sich herrlich normal. Es gab nur Kiesstrände, keinen Sandstrand, aber sie breiteten ihre Handtücher auf den Steinen aus und machten es sich, so gut es ging, bequem. Ihre ausgedehnten Sonnenbäder unterbrachen sie ab und zu, um unter lautem Gelächter und Gekreische ins Wasser zu rennen. Es war so kalt, dass einem fast das Herz stehenblieb.
Sie sahen alle blass aus in ihren Badeanzügen. Nach einheimischer Sitte ging Aschmodai oben ohne, und Julia befürchtete, Falstaff würde einen Herzinfarkt erleiden. Doch das lag nicht nur an Aschmodais Busen, der tatsächlich klein, hoch und bemerkenswert wacklig war, nein: Falstaff war offensichtlich in Aschmodai verliebt. Julia hatte sechs Monate lang mit ihnen unter einem Dach gewohnt, wie hatte sie das bloß übersehen können? Das hier waren ihre Freunde, fast so etwas wie ihre Familie. Die viele Beschäftigung mit dem Göttlichen hatte Julias Fähigkeit beeinträchtigt, wie ein Mensch zu denken. Was, nebenbei bemerkt, noch nie ihre Stärke gewesen war. Sie würde aufpassen müssen. Irgendetwas in ihr war dabei, sich zu verlieren.
Julia beobachtete, wie der Algenschaum Netze und hebräische Buchstaben auf die Wasseroberfläche zeichnete und wieder auslöschte. Sie schüttelte den Kopf und schloss die Augen, um sich vor der grellen Mittelmeersonne zu schützen. Sie war glücklich und zufrieden, wie eine Robbe auf einem Felsen, umgeben von ihrer Robbenfamilie. Sie erwachte aus einem Traum, und alle ihre Freunde waren bei ihr – es war wie das Ende des
Zauberers von Oz.
Das Traurige war nur, dass sie wusste, sie würde wieder in den Traum zurücksinken. Es war noch nicht vorbei. Sie durchlebte nur eine vorübergehende Wachphase. Schon bald würde die Wirkung des Betäubungsmittels wieder einsetzen und der Traum sie erneut in seinen Bann ziehen, und wer weiß, ob sie noch einmal erwachen würde.
Aus diesem Grund wanderte sie in jener Nacht durch die Flure des Hotels, als alle anderen bereits schliefen. Sie hatte ein Ziel – Pouncy. Sie klopfte an seine Tür, und als er öffnete, küsste sie ihn. Danach schliefen sie miteinander. Julia sehnte sich danach, sich wie ein menschliches Wesen zu fühlen, ein Geschöpf mit stürmischen, wirren Gefühlen, ein letztes Mal. Auch wenn es ein etwas nuttiges Geschöpf war.
In der Vergangenheit hatte sie mit Männern geschlafen, weil sie sich irgendwie dazu verpflichtet fühlte – etwa James – oder weil sie etwas von ihnen haben wollte – Jared und Warren, um nur zwei Beispiele zu nennen. Sie konnte sich nicht daran erinnern, es je getan zu haben, weil sie selbst Lust dazu hatte. Es war wunderbar, nein, phantastisch! So, wie es sein sollte.
Doch sie schien es mehr zu genießen als Pouncy. Als Julia ihn zum ersten Mal gesehen hatte, hatte sie gedacht, aha, wir wollen nichts übereilen, aber das könnte durchaus passieren. Sie hatte schon immer auf gepflegte, gutaussehende Männer gestanden, siehe James, und Pouncy entsprach durchaus ihren Ansprüchen. Doch wann immer sie in seine ausdruckslosen, schiefergrauen Augen blickte und darauf wartete, dass ihr die Knie weich wurden, geschah so gut wie nichts. Dazu war sein Blick zu leer.
Aber sie wusste genau, dass seine Gleichgültigkeit nur Fassade war. Das hatte sich deutlich gezeigt, als sie online miteinander kommuniziert hatten. Wenn sie einander jedoch von Angesicht zu Angesicht gegenüberstanden, zog er sich weit unter die Oberfläche zurück, tief unter das Eis. Seine Firewall war schwer zu knacken, sogar für eine Hackerin ihres Kalibers.
All das sagte sie Pouncy, als sie hinterher nebeneinander im Bett lagen, während draußen noch immer die Zikaden lärmten, Gott sei Dank ein wenig gedämpft von den Fensterläden. Pouncy ließ sich mit seiner Antwort lange Zeit.
»Ich weiß«, sagte er schließlich. »Tut mir leid.«
Damit hatte er sich ziemlich einfach aus der Affäre gezogen. Aber wenigstens hatte er sich auf sie eingelassen.
»Es braucht dir nicht leidzutun. Macht doch nichts.« Das entsprach der Wahrheit. Sie schauten zur Decke und lauschten noch ein wenig den Zikaden. Julia fühlte sich angenehm fleischlich. Endlich einmal bildeten ihre Seele und ihr Körper eine Einheit.
»Trotzdem interessiert es mich, ob dir das Projekt deswegen so sehr am Herzen liegt«, sagte sie und setzte sich auf. »Ist es die Macht? Damit du vielleicht eines Tages stark genug bist, um es zu wagen, deinen verborgenen Teil an die Oberfläche zu
Weitere Kostenlose Bücher