Fillory - Der König der Zauberer: Roman (German Edition)

gewöhnt, sich selbst leidzutun und auf andere sauer zu sein. Weniger geübt war sie darin, Mitleid mit anderen zu haben, doch genau das empfand sie jetzt. Verlieben konnte sie sich in Pouncy nicht, aber sie hatte ihn lieb.
    »Ich hoffe, dass sie das tut, Pouncy«, sagte sie. »Wenn du das wirklich willst. Ich hoffe es sehr für dich. Aber wir werden dich vermissen, wenn du nicht mehr da bist.«
     
    Zurück in Murs, tat Julia etwas, was sie schon seit ihrer Ankunft im Juni nicht mehr getan hatte. Sie ging online.
    Seit ewigen Zeiten war keiner von ihnen mehr bei Free Trader Beowulf gewesen. Es dauerte eine Weile, bis sie die Zugangscodes geknackt hatten, die alle paar Monate geändert wurden. Sie trieben sich gegenseitig an. Zwar saßen alle in ihren eigenen Zimmern, aber sie riefen sich ständig irgendwelchen Unsinn zu. (Außer Falstaff, der zu sehr sanfter Riese war, um Unsinn zu reden, was womöglich dazu beitrug, dass er es als Erster schaffte. Aschmo gab frühzeitig auf und beschäftigte sich stattdessen mit dem Hacken des Routers, damit sie Pouncy nach Belieben aus dem Internet schmeißen konnte.) Als Julia schließlich drin war, kündigte sie sich zunächst nicht an. Dazu war man nicht verpflichtet, man durfte hineinschlüpfen und die anderen nach Belieben belauschen. Sie hatte keine Lust, von den anderen Free Traders mit einer Flut von Chatanfragen bombardiert zu werden, weil sie wissen wollten, was sie in der Zwischenzeit getrieben hatte. Ein paar Stunden lang schlich sie nur herum, las ein paar alte Threads und neue aus der Zeit, in der sie sich ausgeklinkt hatte. Es hatte einige Umwälzungen bei den Mitgliedern gegeben; neue waren hinzugekommen, alte ausgetreten oder abgetaucht.
    Es schien ihr Jahre her zu sein, seitdem sie zum letzten Mal hineingeschaut hatte. Sie fühlte sich wesentlich älter. Man konnte das Free-Traders-Interface auf vielfache Weise frei gestalten. Julia hatte immer ein schlichtes Bild bevorzugt, nur ASCII -Zeichen, so dass es aussah wie eine altmodische UNIX -Oberfläche. Ihre Augen füllten sich schon allein beim Anblick der User-Namen der anderen, die sich schwarz auf grün hervorhoben, mit Tränen. So vieles hatte sich seit damals verändert, seitdem sie ein verzweifeltes Leben in der profanen Welt geführt, ihre Stunden im IT -Laden abgerissen und die Zeit totgeschlagen hatte, bis sie nach Stanford gehen konnte. So vieles, was nie mehr wiederkehren würde. Doch bei den Free Traders hatte sich nicht viel verändert.
    Pouncy, Aschmodai und Falstaff verfolgten einen privaten Thread, genau wie damals. Julia klinkte sich ein.
    [ViciousCirce hat sich diesem Thread angeschlossen!]
    PouncySilverkitten: Hi  VC !
    Aschmodai: Hi
    Falstaff: Hi
    ViciousCirce: Hi
    Kurzes, elektronisches Schweigen. Dann ging es weiter:
    Aschmodai: also. verdammt fette show morgen, was?
    ViciousCirce: kann sein
    Falstaff: fetter geht’s nicht
    Aschmodai: was soll heißen, kann sein?
    ViciousCirce: fette show, wenn MUE auftaucht
    Aschmodai: warum sollte sie nicht?
    ViciousCirce: …
    ViciousCirce: weil es sie vielleicht nicht gibt, weil die beschwörung schiefgeht, weil sie ihre tage hat? es gibt tausend denkbare gründe. ich mein ja nur
    PouncySilverkitten: ja, aber was ist mit dem spiegel, den silbermünzen, der milch usw???
    Aschmodai: und sie hat meine narbe geheilt
    ViciousCirce: schon gut, schon gut, ich will ja nicht die spielverderberin sein. Nur habe ich schon eine menge erstklassiger zauberei gesehen, aber noch keine echten götter
    PouncySilverkitten: aber du glaubst doch an eine höhere praxis
    ViciousCirce: ich glaube, es könnte eine geben = darum bin ich noch hier
    ViciousCirce: und egal
    ViciousCirce: angenommen, MUE kommt, es gibt sie wirklich. was dann. was machen wir dann. was ist, wenn sie uns nichts lehren will? ich meine, willst du nur einen gott heraufbeschwören oder selbst einer sein?
    PouncySilverkitten: sein. aber das = notwendiger erster schritt
    Falstaff: trotzdem gutes argument, VC . vielleicht hat MUE keinen bock auf praktikanten
    ViciousCirce: im ernst. angenommen sie manifestiert sich morgen. was sollen wir zu ihr sagen, pouncy?
    Seltsam, dass sie diese Fragen noch nie zuvor offen angesprochen hatten, nämlich, was sie zu der Göttin sagen und wie sie reagieren würden, wenn sie tatsächlich erschien. Vielleicht war es leichter, das online zu besprechen als von Angesicht zu Angesicht. Das nahm den Druck und die Anspannung etwas raus. Der Ton war lockerer.
    PouncySilverkitten: