Fillory - Der König der Zauberer: Roman (German Edition)
vermisste Eliot als Gesprächspartner, ja, sogar Janet. Falls Julia seine Bemerkung amüsant fand oder überhaupt den Zusammenhang erfasste, ließ sie es sich nicht anmerken. Seitdem sie Whitespire verlassen hatten, war sie ganz in sich gekehrt gewesen. Sie sprach mit niemandem und vermied jegliche Berührung. Mit den Händen im Schoß und engangelegten Ellbogen saß sie da.
Quentin suchte die Küste mit einem Ausziehteleskop ab, das er verhext hatte, so dass es ihm sowohl sichtbare als auch unsichtbare Lebewesen zeigte – die meisten jedenfalls. Doch das Gebiet war vollkommen verlassen. Man konnte das Teleskop mit einem Spezialrädchen so einstellen, dass es auch die nahe Vergangenheit eines Ortes zeigte, doch seit mindestens einer Stunde hatte sich niemand am Wasser aufgehalten.
Der Steg knarrte in der Stille. Die Hitze war mörderisch. Quentin dachte, er als König solle zuerst an Land gehen, doch Schramme bestand darauf, den Anfang zu machen. Er nahm seine Pflichten als königlicher Leibwächter sehr ernst, ja, er war generell nicht annähernd so lustig, wie sein Name vermuten ließ. Kein Wunder, denn schließlich klang er wie der eines Clowns für Kindergeburtstage – unpassender konnte er kaum sein.
Das große Gebäude, das ihnen bereits aufgefallen war, bestand aus Holz und war weiß gestrichen. Den Eingang schmückten ionische Säulen, die großen Türen waren verglast. An vielen Stellen bröckelte die Farbe von der Außenfassade ab, wie von einem alten Herrenhaus einer Südstaatenplantage. Schramme stieß die Tür auf und trat ein, dicht gefolgt von Quentin. Wenn ihm diese Reise irgendetwas brachte, dann den leichten Nervenkitzel des Unbekannten, wie kurzlebig er auch immer sein mochte. Nach dem grellen Sonnenlicht draußen war es drinnen dunkel und angenehm kühl.
»Vorsicht, Eure Hoheit!«, mahnte Schramme.
Nachdem sich seine Augen an die Lichtverhältnisse angepasst hatten, erblickte Quentin einen schäbigen, aber prächtig angelegten Raum mit einem Tisch in der Mitte. Daran saß ein kleines Mädchen mit glattem blondem Haar, das eifrig mit Buntstiften malte. Als es die Neuankömmlinge entdeckte, rief es die Treppe hinauf: »Ma-
ma
! Hier sind Leute!«
Dann drehte sie sich ihnen wieder zu.
»Tragen Sie möglichst keinen Sand ins Haus.«
Anschließend widmete sie sich wieder ihrem Bild.
»Willkommen in Fillory«, fügte sie hinzu, ohne aufzublicken.
Das kleine Mädchen hieß Eleanor. Sie war fünf und sehr geschickt im Zeichnen von Kaninchen-Pegasi – anstatt geflügelter Pferde malte sie geflügelte Kaninchen. Quentin wusste nicht, ob es diese Wesen wirklich gab oder ob Eleanor sie erfunden hatte. In Fillory konnte man sich nie so ganz sicher sein. Ihre Mama war schätzungsweise Ende dreißig und hübsch. Sie hatte dünne Lippen und einen blassen, untropischen Teint. Elegant schritt sie die Treppe hinunter, in High Heels und einem halbwegs offiziell wirkenden Kostüm. Sie drängte Eleanor ziemlich unsanft von ihrem Stuhl. Ohne zu murren, raffte das Mädchen seine Bilder und Malutensilien zusammen und rannte die Treppe hinauf.
»Willkommen in Fillory«, begrüßte die Frau sie in kehligem Alt. »Ich bin die Zollbeamtin. Bitte nennen Sie mir Ihre Namen und Herkunftsländer.«
Sie schlug einen Ordner auf und hielt einen großen Stempel mit violetter Tinte bereit.
»Ich bin Quentin«, sagte Quentin. »Coldwater. König von Fillory.«
Mit hochgezogenen Augenbrauen hielt die Frau mitten in ihrer Stempelbewegung inne. Sie ging gewandt mit der Situation um: geschäftsmäßig, aber sexy, gewürzt mit einer Portion wohldosierter Ironie. Die Zollbeamtin hatte etwas von einem Vamp.
»Sie sind der König von Fillory?«
»Ein König von Fillory. Es gibt zwei.«
Sie legte den Stempel hin und schrieb in die Zeile hinter BERUF :
König.
»In diesem Fall – von Fillory?«
»Ja, ganz recht.«
Sie machte sich eine weitere Notiz.
»Na schön.« Seufzend klappte sie den Ordner zu. Ihren Stempel hatte sie nicht benutzt. »Wenn Sie aus Fillory kommen, halten sich die Formalitäten in Grenzen. Ich dachte, Sie kämen von Übersee.«
»Reden Sie gefälligst respektvoll mit Ihrer Hoheit!«, blaffte Schramme. »Vor Ihnen steht der König, nicht irgendein dahergelaufener Fischer.«
»Ich weiß, dass er der König ist«, erwiderte sie. »Er hat es mir selbst gesagt.«
»Dann sprechen Sie ihn gefälligst mit ›Eure Hoheit‹ an!«
»Verzeihung.« Sie wandte sich an Quentin, ohne sich große Mühe zu
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