Fillory - Der König der Zauberer: Roman (German Edition)
Kommst du mit mir?«
Allein die Tatsache, dass Julia ihn um etwas bat, worum auch immer, tat Quentin in der Seele weh. Sie brauchte seine Hilfe. Menschen brauchten ihn: Das war eine neue Erfahrung. Allmählich fand er Gefallen daran.
»Natürlich komme ich mit.« Genau das hatte sie geantwortet, als er sie gebeten hatte, ihn zur Außeninsel zu begleiten.
Sie nickte, ohne die Augen vom Stadtpanorama abzuwenden.
»Danke.«
Um fünf vor zwölf in jener Nacht dachte Quentin an diese Unterhaltung zurück und versuchte, die dazugehörigen Gefühle wieder heraufzubeschwören, während er auf der Ponte dell’Accademia herumlungerte. Er hatte je eine Ausgabe des
Gazzetino
und der
International Herald Tribune
dabei, nur für alle Fälle, und dazu ein tolles, wahnsinnig teures rohes Steak. Dabei gab er sich den Anschein, als habe er keineswegs vor, in den Canal Grande zu springen.
Nach der drückenden, übelriechenden Hitze des Tages war die Nachtluft überraschend frisch. Für jemanden, der plante, darin unterzutauchen, sah das milchig grüne Wasser des Kanals in etwa so verlockend aus wie ein Gletscherfluss. Es schien auch viel tiefer unterhalb der Brücke entlangzufließen, als man vom Ufer aus geschätzt hätte. Außerdem sah es sauber aus, obwohl Quentin wusste, dass es das nicht war.
Doch irgendwo da unten in diesen Gewässern befand sich ein Knopf. Und ein Drache. Eine irgendwie phantastische Vorstellung. Quentin war schon kurz davor gewesen, Josh zu verdächtigen, den Knopf in einem Sofapolster verloren und sich die Geschichte mit dem Drachen nur ausgedacht zu haben, weil sie weniger peinlich war.
»Mann, das wird kein Katzenschlecken«, unkte Josh. »Du wirst dir garantiert die Eier abfrieren.«
»Was du nicht sagst.« Quentin hoffte, dass Josh ihm anbieten würde, an seiner Stelle zu springen oder ihn zu begleiten, aber vergeblich.
»Du gewöhnst dich schon dran«, beruhigte ihn Poppy, die Arme um den Oberkörper geschlungen.
»Warum bist du eigentlich noch mal hier?«, fragte Quentin.
»Aus wissenschaftlichem Interesse. Und weil ich wissen will, ob du es wirklich durchziehst.«
Es war eine persönliche Marotte von Poppy, nie zu lügen, wenn andere Leute es tun würden. Ob man das taktlos oder bewundernswert fand, war Ansichtssache.
Quentin atmete ein paarmal tief durch und lehnte sich an das splittrige Holzgeländer, das noch immer ein wenig Restwärme abstrahlte. Er machte sich klar, wie viel auf dem Spiel stand. Julia hätte keine Sekunde gezögert. Sie wäre über die Brüstung gesprungen wie eine olympische Hürdenläuferin. Auf seine Bitte hin hatte ihr niemand gesagt, was sie heute Nacht vorhatten, und sie hatten sich davongeschlichen, nachdem sie zu Bett gegangen war. Sie hätte sonst darauf bestanden, mitzukommen.
»Sie fressen so gut wie nie Menschen«, erklärte Poppy. »Nur etwa zweimal pro Jahrhundert. Soviel wir wissen.«
Quentin antwortete nicht.
»Wie tief es ist wohl, was meinst du?«, fragte Josh und zog an einer Zigarette. Er wirkte am nervösesten von ihnen dreien.
»An die sechs Meter«, sagte Quentin. »Ich hab’s im Internet nachgelesen.«
»O Gott. Mach bloß keinen Kopfsprung.«
»Wenn ich mir den Hals breche und querschnittsgelähmt bin, lasst mich ersaufen.«
»Zwei Minuten«, verkündete Poppy. Ein leeres Vaporetto tuckerte unter ihnen vorüber, außer Dienst, die Lichter gelöscht bis auf die in der gemütlichen Fahrerkabine. Der Kanal bestand vermutlich zu neunzig Prozent aus
Kolibakterien
und der Rest war Dieselöl. Zum Baden nicht geeignet.
Im Geländer, genau am Scheitelpunkt der Brücke, befand sich eine Schnitzerei, die einen stilisierten Drachen, aber auch ein schnörkeliges
S
darstellen konnte.
»Willst du dich ausziehen?«, fragte Josh.
»Wie lange habe ich darauf gewartet, dass du mich das fragen würdest!«, erwiderte Quentin.
»Im Ernst, willst du?«
»Nein«, antwortete Quentin, im Chor mit Poppy.
»Im Ernst«, fügte sie hinzu.
Die kleine Gruppe wurde still. Irgendwo in der Ferne splitterte Glas. Bierflasche gegen Wand. Quentin fragte sich, ob er wirklich bereit dazu war. Vielleicht genügte es, wenn er eine Botschaft reinwarf. Eine Flaschenpost. Ruf mich an.
»Hey, der kleine Typ hat dich doch auf dem Handy angerufen, oder?«, fragte er Josh. »Hast du seine Nummer? Vielleicht könnten wir einfach …«
»Sie war unterdrückt.«
»Jetzt!«, sagte Poppy.
»Scheiße!«
Einfach nicht drüber nachdenken. Quentin nahm von der Mitte der Brücke
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