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Fillory - Der König der Zauberer: Roman (German Edition)

Fillory - Der König der Zauberer: Roman (German Edition)

Titel: Fillory - Der König der Zauberer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lev Grossman
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aus Anlauf, umklammerte mit einer Hand die Zeitungen und das Steak, rannte auf das Geländer zu und schwang sich seitlich darüber. Er überraschte sich selbst mit seinem geschmeidigen Sprung. Das musste am Adrenalin liegen. Im Fallen wäre er dann beinahe an einem hervorstehenden Stützbalken hängen geblieben.
    Ein Urinstinkt trieb ihn dazu, mit den Armen zu wedeln und das Steak und die Zeitungen in der Luft loszulassen. Sie lösten sich von ihm und verschwanden in der Nacht. So viel dazu. Zu seiner Linken erhaschte er einen Blick auf etwas, das parallel zu ihm fiel. Ein Mensch – Poppy! Sie war auch gesprungen.
    Quentin schlug hart auf, mehr oder weniger mit den Füßen zuerst, und ging unter. Sein einziger Gedanke war, den Atem anzuhalten oder so viel Luft wie möglich aus allen verfügbaren Körperöffnungen zu pressen, um das Eindringen von Wasser oder anderen Flüssigkeiten zu verhindern. Der Kanal war eiskalt und stark salzhaltig. Im ersten Augenblick war er erleichtert, weil er es gar nicht so kalt fand, doch dann saugten sich seine Kleider voll und verwandelten sich in eisiges Blei, so dass die Kälte von allen Seiten auf ihn eindrang. Er geriet in Panik und begann, wild zu zappeln, aus Angst, seine schwere Kleidung könne ihn weiter hinunterziehen. Doch dann durchstieß er mit dem Kopf die Wasseroberfläche.
    Er hatte einen Schuh verloren. Poppy tauchte zugleich mit ihm ein paar Meter weiter auf, spuckend und prustend. Ihr rundes Gesicht leuchtete blass im gelblichen Licht der Natriumdampflampen. Er hätte sauer auf sie sein sollen, aber vor lauter Übermut, weil sie mitten in der Nacht im Canal Grande herumschwammen, brach er in hysterisches Gelächter aus.
    »Was machst du denn hier?«, flüsterte er laut.
    Durch den Kälteschock war seine Gereiztheit ihr gegenüber verschwunden. Den Schneid, von der hohen Brücke ins eisige Wasser zu springen, hätte er ihr nicht zugetraut. Er war nicht mehr allein.
    »So verdoppeln wir die Chancen, oder? Wenn wir zu zweit sind?« Sie warf ihm ihrerseits ein überdrehtes Grinsen zu. Abgefahrener Scheiß wie der hier war ihr Lebensinhalt. »Ich habe mich geirrt. Wir hätten uns doch besser ausgezogen.«
    Quentin trat Wasser. Schon nach etwa dreißig Sekunden war er erschöpft und zitterte unkontrollierbar. Die Strömung trieb sie unter die Brücke – nein, nicht die Strömung, sondern die Gezeiten, erinnerte sich Quentin, da der Kanal schließlich kein Fluss war. O nein, in dieser Brühe konnten sogar Haie schwimmen! Irgendjemand rief ihnen vom Ufer her etwas auf Italienisch zu. Hoffentlich kein Carabiniere.
    Quentin pinkelte in die Hosen, und ihm wurde für einen Augenblick wärmer, gleich darauf aber kälter als zuvor. Er versuchte, nicht daran zu denken, was sich an PCB und anderen Industriegiften stromaufwärts in ihre Richtung schlängeln musste. Von hier unten aus wirkte der Kanal ungeheuer breit, das Ufer meilenweit entfernt. Wie war er hierhergelangt, so weit weg von der Stelle, an der er hineingesprungen war? Wie war er so weit vom Weg abgekommen? Er befürchtete, nie wieder nach Hause zu finden, dort, wo er hingehörte, zurück auf seinen gemütlichen Thron. Eine kleine Welle schwappte plötzlich auf und klatschte ihm ins Gesicht. Er war kurz davor, aufzugeben. Aber wenigstens hatte er es versucht.
    »Wie lange müssen wir warten?«, fragte er Poppy.
    Genau in dem Moment schloss sich eine Eisenfessel um seinen Knöchel und zerrte ihn in die Tiefe.
     
    Eigentlich hätte er sterben müssen. Vor Überraschung stieß er seinen ganzen Atem auf einmal aus und ging mit leerer Lunge unter.
    Doch ein Zauber schützte ihn und sorgte dafür, dass er am Leben blieb. Der Wirkung nach musste der Drache viele Jahre lang daran gearbeitet haben, es seinen Besuchern bequem zu machen, denn der Zauber war den menschlichen Bedürfnissen ideal angepasst, über Jahrhunderte hinweg fein gedrechselt, bewirkt von einem Altmeister mit Schwingen und einem Schwanz. Quentin würde nicht sterben. Jedenfalls nicht versehentlich.
    Ihm wurde sogar wieder warm, zum ersten Mal seit Stunden, so schien ihm, und er konnte klar sehen, wenn auch etwas unscharf, was im Grunde unmöglich war. Er atmete Wasser. Es war nicht dasselbe, wie Luft zu atmen – es bot mehr Widerstand und musste aktiver in die Lungen eingesogen und wieder hinausgepumpt werden –, aber es erfüllte seinen Zweck. Sein Gehirn wurde weiter mit Sauerstoff versorgt. Dankbar saugte er das Wasser ein, mit großen Schlucken. Er

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