Fillory - Die Zauberer
verzweifelt nach einem anderen Ausweg? Warum wartete er noch immer darauf, dass ihn irgendein großes Abenteuer fand? Er war im Ertrinken begriffen, aber warum schreckte er zurück, wann immer ihm jemand die Hand hinunterreichte? Die Dozenten, mit denen Quentin sprach, schienen sich kaum für sein Problem zu interessieren, ja, sie verstanden nicht einmal, worin es bestand. Was er tun solle? Nun, was immer er wolle!
Währenddessen werkelten Quentin und Alice mit schwindendem Enthusiasmus an ihren Examensarbeiten. Alice versuchte, ein einzelnes Photon zu isolieren und es an einer bestimmten Stelle anzuhalten, es in seinem ungestümen Lichtgeschwindigkeitsflug zu bremsen. Sie konstruierte zu diesem Zweck eine ausgeklügelte Falle aus Holz und Glas, verwoben mit einem höllisch komplexen, sphärischen Wirrwarr von indigoblau glühender Schwarzkunst. Doch am Ende war niemand ganz sicher, ob das Photon auch wirklich darin war oder nicht, und es fand auch keiner heraus, wie man es beweisen konnte. Alice gestand Quentin, dass auch sie nicht ganz sicher sei und nur inständig hoffe, dass die Dozenten sich irgendwie einig wurden, weil sie der ganze Kram wahnsinnig mache. Nach einer Woche zunehmend gereizter, fruchtloser Debatten einigten sie sich schließlich darauf, Alice mit der schlechtest möglichen Note bestehen zu lassen und damit die Sache zu beenden.
Quentin plante einen Flug zum Mond und zurück. Er rechnete sich aus, die Strecke in wenigen Tagen bewältigen zu können, im Direktflug. Nach seinem antarktischen Abenteuer war er ziemlich gut in Wärmesprüchen. (Obwohl auch diese nicht seine Disziplin waren. Er hatte es allmählich aufgegeben, nach seiner Disziplin zu suchen.) Außerdem hatte die Vorstellung etwas Romantisches, Lyrisches. An einem sonnigen, heißen, schwülen Frühlingstag startete er vom Meer aus, verabschiedet von Alice, Gretchen und einigen der unterwürfigen neuen Physiker. Die Schutzzauber formten eine transparente Kugel um ihn. Die Geräusche klangen verzerrt, der grüne Rasen sowie die lächelnden Gesichter seiner Freunde und Bewunderer krümmten sich wie durch ein Fischauge gesehen. Im Aufsteigen wurde die Erde von einer endlosen glanzlosen Ebene unter ihm zu einer leuchtenden, klar umrissenen blauen Kugel. Über ihm kamen die Sterne heraus und wurden schärfer, stählerner und weniger funkelnd.
Nachdem er sechs Stunden unterwegs gewesen war, wurde plötzlich seine Kehle wie mit einem Schraubstock zugeschnürt und Eisennägel stachen in seine Trommelfelle. Seine Konzentration hatte nachgelassen und seine improvisierte Raumkugel war dünner geworden. Quentin wedelte mit den Armen wie ein hektischer Dirigent, prestissimo , und die Luft erwärmte sich wieder und wurde sauerstoffreicher, doch von diesem Moment an machte die ganze Sache keinen Spaß mehr. Er wurde von Zittern, Keuchen und nervösem Lachen geschüttelt und konnte sich nicht mehr beruhigen. Mein Gott, dachte er, gibt es etwas Sinnloseres, wofür man sein Leben riskieren könnte? Wer konnte sagen, wie viel interstellare Strahlung er bereits abbekommen hatte? Der Weltraum war voller aggressiver kleiner Partikel.
Er kehrte um. Er dachte daran, sich für ein paar Tage zu verstecken und einfach so zu tun, als sei er bis zum Mond gelangt. Vielleicht konnte er Lovelady ein wenig Mondstaub abschwatzen und diesen als Beweis präsentieren. Die Umgebung wurde wieder wärmer, der Himmel heller. Er entspannte sich, erfüllt von einer Mischung aus Erleichterung und Scham, eine kräftige Portion von beidem. Die Welt breitete sich wieder unter ihm aus: die komplex zerklüftete Küstenlinie, das blaue Wasser mit einer Oberfläche wie getriebenes Metall, die lockende Klaue von Cape Cod.
Mit Abstand am schlimmsten war dann seine Ankunft beim Abendessen in der Großen Halle. Zwei Tage zu früh, mit einem dümmlichen Ja-ich-hab’s-vermasselt-Grinsen im feuerrot verbrannten Gesicht. Nach dem Essen borgte er sich Alice’ Schlüssel und zog sich in den Präfektenraum zurück, wo er zu viel Sherry trank. Er schlürfte ihn allein vor dem dunklen Fenster, obwohl er nur seine eigene Gestalt erkennen konnte. Er malte sich aus, wie der Hudson River draußen im Dunkeln vorüberfloss, träge, angeschwollen vom kalten Frühlingsregen. Alice lernte oben in ihrem Zimmer. Die meisten anderen schliefen, nur in einem Flügel war eine Wochentagsparty in vollem Gange, von der aus betrunkene Studenten in Paaren und Gruppen davontorkelten. Als Selbstmitleid und Alkohol
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