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Fillory - Die Zauberer

Fillory - Die Zauberer

Titel: Fillory - Die Zauberer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lev Grossman
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ihn vollkommen zermürbt hatten und die Morgendämmerung ihn anzuspringen drohte, kehrte Quentin mit vorsichtigen Schritten zu seinem Zimmer zurück. Auf dem Weg die Wendeltreppe hinauf kam er an dem Zimmer vorbei, das einst Eliot bewohnt hatte. Ein wenig schwankend blieb er einen Augenblick stehen und trank einen Schluck aus der Sherryflasche, die er im Hinausgehen gegriffen hatte.
    Der Suff wurde bereits zum Kater, diese Übelkeit erregende neurologische Alchemie, die sich normalerweise während des Schlafs vollzieht. Sein Bauch war übervoll, aufgebläht von vergifteten Eingeweiden. Menschen, die er betrogen hatte, wanderten aus ihren Verstecken seines Geistes hervor, in dem sie normalerweise verborgen waren. Seine Eltern. James. Julia. Professor March. Amanda Orloff. Sogar der alte, tote Mr.Sowieso, der Princeton-Prüfer. Sie alle musterten ihn leidenschaftslos. Er hatte nicht einmal ihre Verachtung verdient.
    Er legte sich auf sein Bett, ohne das Licht zu löschen. Gab es einen Zauber, der ihn glücklich machen konnte? Irgendjemand musste doch einen erfunden haben. Wie konnte er ihm entgangen sein? Warum wurde er nicht gelehrt? War er in der Bibliothek zu finden, ein fliegendes Buch, das knapp außer Reichweite herumflatterte, flügelschlagend vor einem hohen Fenster? Er hatte das Gefühl, dass sein Bett hinunter- und wegrutschte, runter und weg, runter und weg, wie eine Filmschleife über einen Stukabomber, der wieder und wieder zu einem Angriff hinunterstieß, immer und immer wieder. Wie jung er gewesen war, als er zum ersten Mal hierherkam! Er dachte an jenen eiskalten Tag im November zurück, als er das Buch von der schönen Sanitäterin angenommen hatte, und an den Zettel, der in den trockenen, überwucherten, gefrorenen Garten geweht worden war, und wie er unbekümmert hinterhergelaufen war. Nie würde er erfahren, was darauf gestanden hatte. Hatte er all die Reichtümer, das ganze schöne Gefühl enthalten, das ihm irgendwie fehlte, sogar, nachdem ihm so viel Gutes widerfahren war? War es die geheime Enthüllung von Martin Chatwin gewesen, dem Jungen, der nach Fillory geflohen und nie mehr zurückgekehrt war, um sich der Erbärmlichkeit dieser Welt zu stellen? Weil er betrunken war, dachte er an seine Mutter, und wie sie ihn als kleines Kind einmal in den Armen gehalten hatte, als ihm eine Action-Figur in den Gully gefallen war. Er schmiegte sein rotes, schmerzendes Gesicht in sein kühles Kissen und schluchzte, als wäre sein Herz gebrochen.
     
    Inzwischen waren es nur noch zwei Wochen bis zur Abschlussprüfung. Die Unterrichtsarbeit kam knirschend zum Stillstand. Der Irrgarten wurde zu einem lebhaft sprießenden, leuchtend grünen Knoten, die Luft war erfüllt mit kleinen Schwebeteilchen, und sirenenartige Vergnügungsdampfer tuckerten den Fluss hinunter am Bootshaus vorbei, vollgepackt mit ahnungslosen Sonnenanbetern. Niemand sprach mehr von etwas anderem als darüber, wie großartig es sein würde, wenn sie nach Herzenslust feiern, lange ausschlafen und mit verbotenen Zaubern experimentieren konnten. Andauernd blickten sie einander an, lachten, klopften sich gegenseitig auf die Rücken und schüttelten die Köpfe. Das Karussell verlangsamte seinen Lauf. Die Musik war fast erstorben.
    Streiche wurden ausgeheckt. In den Schlaftrakten herrschte eine dekadente, Die-letzten-Tage-von-Pompeji-Atmosphäre. Irgendjemand erfand ein neues Spiel mit Würfeln und einem leicht verhexten Spiegel – so etwas wie magisches Strippoker. Verzweifelte, unbesonnene Versuche wurden unternommen, mit der einen Person zu schlafen, mit der man immer insgeheim und hoffnungslos zu schlafen gewünscht hatte.
    Die Abschlusszeremonie begann um sechs Uhr abends, als der Himmel noch von verblassendem goldenen Licht erglühte. Im Speisesaal wurde ein Elf-Gänge-Menü serviert. Die neunzehn Absolventen des Fünften Studienjahres blickten sich ehrfürchtig an. Sie fühlten sich verloren und allein an dem langen, leeren Esstisch. Aus Flaschen ohne Etikett wurde Rotwein serviert. Fogg enthüllte, dass er von dem winzigen Brakebills-eigenen Miniatur-Weinberg stammte, über den Quentin im Herbst seines Ersten Studienjahres gestolpert war. Traditionell wurde der gesamte Ertrag von den Examenskandidaten beim Abschlussessen getrunken – er musste getrunken werden, wie Fogg betonte, mit düsteren Anspielungen darauf, was geschehen würde, wenn auch nur eine einzige Flasche übrig bliebe. Es war ein dünner, säuerlicher Cabernet Sauvignon,

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