Fillory - Die Zauberer
gefährlichen Forschungsprojekt, das sich in eine wirklich interessante Richtung zu entwickeln versprach. Er war im siebten Himmel.
Doch als er eines Tages, ein paar Wochen nach seiner Ankunft, an seinem Schreibtisch saß und seine wässrigen blauen Augen über Worte von vollkommener Macht wandern ließ, die vor Jahrhunderten mit einer Hippogreif-Feder geschrieben worden waren, stellte Penny plötzlich fest, dass er nicht bei der Sache war. Seine breite, normalerweise glatte Stirn legte sich in Falten. Irgendetwas zapfte seine Konzentrationsfähigkeit an. Wurde er angegriffen, vielleicht von einem rivalisierenden Forscher? Wer wagte es! Er rieb sich die Augen und versuchte noch stärker, sich zu konzentrieren. Doch immer wieder schweifte er ab.
Penny entdeckte eine Schwäche an sich, einen Makel, mit dem er in tausend Jahren nicht gerechnet hätte. (So lange plante er – mit einigen wenigen Modifikationen, denen er sich widmen würde, wenn die Zeit reif war – auf jeden Fall zu leben.) Der Makel war: Er fühlte sich einsam.
Schon allein die Vorstellung war empörend. Sie war demütigend. Er, Penny, war ein eiskalter Einzelgänger, ein Desperado. Er war der Han Solo von Oslo. So kannte und liebte er sich. Er hatte vier endlose Jahre in Brakebills verbracht, umgeben von Idioten – ausgenommen Melanie, wie er Professor Van der Weghe insgeheim nannte –, und nun war er endlich von ihrem unablässigen Blödsinn befreit.
Doch jetzt entdeckte Penny, dass er unerklärliche Dinge tat. Unproduktives Zeug. Er stand am betonierten Ufer eines Staubeckens in der Nähe seiner Farm und warf Steine hinunter, um die dünne Eisschicht zu durchbrechen, die sich auf dem Ausflussbecken gebildet hatte. Er legte die anderthalb Meilen bis zum Zentrum der kleinen Stadt zu Fuß zurück und spielte Videospiele in der fensterlosen Spielhalle hinter der Apotheke. Er stopfte sich geschmacklose Kaugummis aus dem Kaugummiautomaten in den Mund, Seite an Seite mit den hoffnungslosen, leer blickenden Teenagern, die dort herumhingen und genau das Gleiche taten wie er. Er baggerte schüchtern und unbeholfen die minderjährige Verkäuferin im Buchladen an, wo es hauptsächlich Schreibwaren und Grußkarten, aber keine Bücher gab. Er vertraute seine Sorgen der armseligen Herde von vier Büffeln an, die draußen auf der Büffelfarm an der Bar Harbor Road lebten. Er erwog, über den Zaun zu klettern und ihre keilförmigen Köpfe zu streicheln, aber er traute sich nicht so recht. Es waren große Büffel, und man wusste nie so recht, was in ihnen vorging.
Das war im September. Als der Oktober kam, hatte er sich einen grasgrünen Subaru Impreza gekauft und fuhr regelmäßig in einen Tanzclub in Bangor. Während er die fünfundvierzig Meilen querfeldein durch die Tannenwälder zurücklegte, trank er an einer auf dem Beifahrersitz deponierten Flasche Wodka, weil in dem für alle Altersstufen offenen Club kein Alkohol ausgeschenkt wurde. Die Fortschritte bei seinem Forschungsprojekt waren quasi zu einem Nichts zusammengeschrumpft. Ein paar Stunden am Tag blätterte er lustlos durch alte Notizen, die großzügigen Pausen gefüllt mit Internet-Pornos. Es war demütigend.
Der Tanzclub in Bangor war nur freitags und samstags geöffnet und er spielte dort lediglich Pool-Billard in dem halbdunklen Foyer abseits der Haupttanzfläche, zusammen mit anderen zwielichtigen Einzelgängern wie ihm. Doch ausgerechnet in diesem halbdunklen Foyer an einem jener Samstagabende entdeckte er zu seiner insgeheimen Bestürzung und seiner noch geheimeren Erleichterung und Dankbarkeit ein vertrautes Gesicht. Es war ein nicht gerade gefälliges Gesicht: das einer ausgemergelten Leiche, die nicht mal im Leben besonders attraktiv gewesen war, mit einem schrecklichen, bleistiftdünnen Schnurrbart auf der Oberlippe. Das Gesicht gehörte dem Handelsreisenden Lovelady.
Lovelady befand sich aus ungefähr demselben Grund in dem Tanzclub in Bangor, aus dem Penny hierher gekommen war: Er war so weit wie möglich von Brakebills und der Magie davongelaufen und hatte sich plötzlich einsam gefühlt. Bei einem großen Krug Light-Bier und ein paar Billardpartien, die Lovelady alle mit Leichtigkeit gewann – man handelt nicht sein Leben lang mit magischen Gegenständen, ohne sich unterwegs ein paar wirklich wichtige Fähigkeiten anzueignen –, erzählten sie sich gegenseitig ihre Geschichte.
Beim Zusammenkratzen seines Lebensunterhalts war Lovelady hauptsächlich von seinem Glück und
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