Fillory - Die Zauberer
schienen es zu genießen, zur Abwechslung einmal ernsthaft und effizient sein zu können.
Keiner kannte Anaïs besonders gut – nicht mal Josh, um ehrlich zu sein –, aber sie entpuppte sich als äußerst nützlicher Zugewinn. Zu ihrem Bekanntenkreis gehörte jemand, der jemanden kannte, der eine alte Farm außerhalb von New York besaß, ein gemütliches Bauernhaus auf hundert Morgen Land, so abgelegen und leicht zu verteidigen, dass es sich hervorragend als Ausgangspunkt für ihre nächsten Aktivitäten eignete, wie immer diese auch aussehen mochten. Außerdem war dieser erstere Jemand eine so erfahrene Zauberin, dass sie sogar ein Portal für sie öffnen konnte, um sie direkt dorthin zu bringen. Sie würde später am Nachmittag vorbeikommen, sobald das Basketballturnier der New Jersey Nets zu Ende war.
Sie mussten vom Dach aus aufbrechen, da die äußerst wirksamen doppelten und dreifachen Schutzschilde, die sie am Vormittag aufgebaut hatten (und jetzt wieder zurücklassen würden), jeden magischen Transport in die Wohnung hinein oder wieder hinaus verhinderten. Abends um halb sechs blickten sie also über die unruhige Cocktailtablett-Skyline von Lower Manhattan hinweg. Außer ihnen war niemand sonst dort oben, jetzt mitten im Winter. Überall auf dem Dach lagen vom Wind umgewehte Plastikgartenmöbel und schwarz verkohlte Grillutensilien herum. Ein einsames Windspiel klimperte an der Regenrinne eines Geräteschuppens vor sich hin.
Es war so kalt, dass sie die Arme um sich schlugen wie Kutscher und mit den Füßen im Kies scharrten, während sie zusahen, wie eine rüstige, grauhaarige, belgische Hexe, die nikotingelbe Finger hatte und einen recht gruseligen Talisman an einem Band um den Hals trug, das Portal für sie öffnete. Es war ein fünfseitiges Portal, dessen unterer Rand parallel zum Boden verlief. Die Spitzen versprühten winzige, aktinische, blauweiße Funken – ein rein kosmetischer Aspekt, vermutete Quentin, doch sie verliehen der Szene eine zugleich melancholische und festliche Atmosphäre.
Es war ein bedeutender Moment. Sie brachen ganz spontan zu einem großen Abenteuer auf. Hieß das nicht, zu leben, verdammt noch mal? Als das Portal vollendet und stabil war, küsste die grauhaarige Hexe Anaïs auf beide Wangen, sagte etwas auf Französisch und eilte davon. Vorher konnte Janet sie jedoch noch rasch dazu bewegen, sie alle mit einer Einwegkamera zu fotografieren, wie sie vor ihren aufgetürmten Koffern, Bündeln und Tüten voller Lebensmitteln warteten.
Die Gruppe, diesmal alle acht gemeinsam, trat zugleich hindurch und gelangte auf einen weitläufigen, frostbraunen Vorgartenrasen. Die ernste Stimmung, die eben auf dem Dach geherrscht hatte, lockerte sich, als Anaïs und Josh sich gegenseitig ins Haus hineinjagten. Sie quietschten, hopsten auf den Sofas herum, rannten durch die Zimmer und diskutierten, welches sie nehmen sollten. Anaïs hatte das Haus ziemlich gut beschrieben: Tatsächlich war es groß und gemütlich und zumindest einige Teile davon waren alt. Offenbar war es einst ein großzügig geschnittenes Farmhaus im Kolonialstil gewesen, bis es jemand mit progressivem Architekturgeschmack erworben und die alte Holz-Natursteinkonstruktion mit Glas, Titan und Zement kombiniert und erweitert hatte. Zur Einrichtung gehörten unter anderem ein Flachbildfernseher, eine High-End-Stereoanlage und ein AGA-Holzofen.
Alice huschte schnurstracks hinauf ins Hauptschlafzimmer, das fast die Hälfte der zweiten Etage beanspruchte, und schloss die Tür hinter sich. Mit brennenden, rot umränderten Augen schreckte sie etwaige Rivalen ab. Nach der fast schlaflosen Nacht und dem magisch verlängerten Tag wurde Quentin plötzlich von Müdigkeit übermannt und zog sich in ein kleines Gästezimmer weiter hinten im Haus zurück. Das harte, antiseptische Doppelbett fühlte sich an wie seine gerechte Strafe.
Es war dunkel, als er erwachte. Die kalten blauen Digitalziffern des Radioweckers sagten 22:27. Sie glichen phosphoreszierenden Mustern auf der Flanke eines Tiefseefisches. Er fand keinen Lichtschalter, ertastete aber den Griff einer Tür, die zu einem kleinen Badezimmer führte. Dort schaltete er die Lampe über dem Spiegel ein. Quentin spritzte sich Wasser ins Gesicht und wanderte hinaus in das fremde Haus.
Er fand die anderen, außer Alice und Penny, im Esszimmer, wo sie bereits ein Mahl mit heroischen Ausmaßen zubereitet und verzehrt hatten. Die Überreste lagen auf einem riesigen Tisch, der
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