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Fillory - Die Zauberer

Fillory - Die Zauberer

Titel: Fillory - Die Zauberer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lev Grossman
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Quentin je gehört hatte. Es war ein wütender, mächtiger Zauber, voll von kämpferischen Frikativen – ein Angriffszauber, ein Kriegszauber, dazu bestimmt, den Gegner praktisch in Stücke zu reißen. Quentin fragte sich, wo sie ihn gelernt hatte, denn ein Zauber wie dieser war in Brakebills strengstens verboten und seine Anwendung absolut tabu. Doch bevor sie ihre Beschwörung beenden konnte, klang ihre Stimme plötzlich gedämpft. Sie sprach höher und immer höher, schneller und schneller, wie ein zu schnell abgespultes Tonband, dann wurde sie leiser und verstummte plötzlich, bevor sie die Formel beenden konnte. Wieder kehrte Stille ein.
    Der Morgen verging und der Nachmittag kam, in einem Fiebertraum der Panik und Langeweile. Quentin wurde gefühllos. Von draußen hörte er Anzeichen für Aktivität. Er konnte nur ein Fenster erkennen, aus dem äußersten Augenwinkel heraus, aber irgendetwas ging da vor sich, etwas schirmte das Licht ab. Man hörte ein Hämmern und, ganz schwach, sechs oder sieben Stimmen, die im Chor sangen. Ein greller Blitz flammte lautlos hinter der Tür zum Flur auf, so energiegeladen, dass das dicke Holz für einen Augenblick transparent wurde. Ein Rumpeln ertönte, als versuche jemand, von unten durch den Fußboden zu brechen. Nichts von alldem schien den Mann im grauen Anzug zu stören.
    Am Fenster flatterte ein rotes Blatt am Ende eines kahlen Astes wie verrückt im Wind. Es hatte dem Herbst länger getrotzt als alle anderen. Quentin beobachtete es. Der Wind zauste das Blatt an seinem Stängel hin und her. Es erschien ihm als das Schönste, was er je gesehen hatte. Alles, was er wollte, war, es noch eine Minute länger ansehen zu dürfen. Er hätte alles dafür gegeben, für nur einen Augenblick länger mit diesem kleinen roten Blatt.
    Er musste in Trance gefallen oder eingeschlafen sein – er wusste es nicht. Als er aufwachte, sang der Mann leise, hoch und atemlos. Seine Stimme klang überraschend sanft:
Maikäfer flieg,
dein Vater ist im Krieg,
deine Mutter ist in Pommerland,
Pommerland ist abgebrannt,
Maikäfer flieg.
    Er summte noch ein wenig weiter. Dann verschwand er plötzlich und ohne Vorwarnung.
    Es geschah so leise und abrupt, dass Quentin zunächst gar nicht bemerkte, dass er weg war. Vielleicht auch deshalb, weil Professor March ihm die Schau stahl. Im selben Moment, in dem der Mann verschwand, sank der Professor, der die ganze Zeit mit offenem Mund dagestanden hatte, schlaff in sich zusammen, stürzte von der Bühne und krachte auf den Hartholzfußboden.
    Quentin versuchte aufzustehen. Doch er rutschte von seinem Stuhl und fiel auf den Boden zwischen den Sitzreihen. Seine Arme, Beine und der Rücken waren furchtbar verkrampft und völlig kraftlos. Hin- und hergerissen zwischen Schmerz und Erleichterung, streckte er vorsichtig die Beine aus. Erquickende Schmerzbläschen lösten sich in den Knien, als sei er nach einem Langstreckenflug endlich ausgestiegen. Tränen der Erleichterung stiegen ihm in die Augen. Der Mann war fort und nichts Schlimmes war passiert. Alice stöhnte ebenfalls. Ein Paar Schuhe, wahrscheinlich ihre, hingen ihm ins Gesicht. Der ganze Raum war von Stöhnen und Schluchzen erfüllt.
    Anschließend erfuhr Quentin, dass Fogg praktisch unverzüglich den ganzen Lehrkörper mobilisiert hatte, kaum war der Mann erschienen. Die Abwehrzauber der Schule entdeckten ihn sofort, konnten ihn aber nicht vom Eindringen abhalten. Auf jeden Fall erwies sich Fogg als hervorragender Kriegsstratege: ruhig, organisiert, schnell und sicher in seiner Einschätzung der Situation, geschickt im Einsatz der Mittel, die ihm zur Verfügung standen.
    Im Laufe des Vormittags war ein komplettes provisorisches Gerüst rund um den Turm erbaut worden. Professor Heckler, angetan mit einem Schweißerhelm, um seine Augen zu schützen, hätte mit seinen pyrotechnischen Attacken beinahe den Turm in Brand gesetzt. Professor Sunderland hatte heldenmütig versucht, die Wand zu durchdringen, aber vergeblich, und es war auch nicht klar, was sie unternommen hätte, wenn es ihr gelungen wäre. Sogar Bigby erschien und setzte kraftvolle, exotische, nicht-menschliche Zauberkräfte ein, die – so hatte Quentin den Eindruck – das Kollegium ein wenig beunruhigten.
    Nach dem Essen an diesem Abend, nachdem sie mürrisch und unkonzentriert den üblichen Ankündigungen über Clubs, Veranstaltungen und Aktivitäten zugehört hatten, wandte sich Dekan Fogg an die Studierenden und versuchte zu erklären,

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