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Fillory - Die Zauberer

Fillory - Die Zauberer

Titel: Fillory - Die Zauberer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lev Grossman
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lag, der seine Züge stets teilweise bedeckte. Der Zweig war nirgendwo befestigt, sondern schwebte einfach vor dem Gesicht.
    Dann hörte Professor March auf zu reden und erstarrte auf der Stelle.
    Alice war ebenfalls verstummt. Im ganzen Raum herrschte Stille. Ein Stuhl knarrte. Auch Quentin konnte sich nicht bewegen. Es gab nichts, was ihn zurückhielt, sondern es war, als sei die Verbindung zwischen seinem Kopf und seinem Körper gekappt worden. Konnte die Anwesenheit des Mannes dies bewirken? Wer war er? Alice lehnte sich immer noch leicht in seine Richtung, und eine lose Strähne ihres Haares raubte ihm teilweise die Sicht. Er konnte ihre Augen von seinem Standort aus nicht erkennen. Alles war still, kein Laut war zu hören. Der Mann auf dem Podium war das Einzige auf der Welt, was sich noch bewegte.
    Quentins Herzschlag beschleunigte sich. Der Mann neigte seinen Kopf schief zur Seite und runzelte die Stirn, als hörte er es. Quentin verstand nicht, was da vor sich ging, aber irgendetwas war gründlich schiefgelaufen. Adrenalin wurde in seinem Körper freigesetzt, aber es konnte nirgendwo hin. Sein Gehirn schmorte im eigenen Saft. Der Mann begann, über das Podium zu wandern und seine neue Umgebung zu inspizieren. Sein Verhalten glich dem eines Gentleman-Ballonfahrers aus alten Zeiten, der zufällig in exotischen Gefilden gestrandet war: neugierig, amüsiert. Durch den Zweig vor seinem Gesicht waren seine Absichten unmöglich zu erraten.
    Er umkreiste Professor March. Seine Art, sich zu bewegen, besaß etwas Merkwürdiges, sein Gang war zu flüssig. Als er hinaus ins Licht trat, erkannte Quentin, dass er nicht menschlich war, oder jedenfalls nicht mehr. Aus den Manschetten seines weißen Hemdes ragten zu viele Finger hervor, drei oder vier mehr als gewöhnlich.
    Eine Viertelstunde kroch vorüber, dann eine halbe. Je länger der Mann seine Absichten verbarg, desto düsterer und dubioser schienen seine Ziele. Er spielte mit Professor Marchs Instrumenten. Er umkreiste das Auditorium. Er zückte ein Messer und reinigte sich die Fingernägel. Objekte wackelten und ruckten ruhelos, wann immer er ihnen zu nahe kam. Quentin konnte den Kopf nicht drehen, und der Mann marschierte in seinem Blickfeld ein und aus. Er nahm einen Eisenstab von Marchs Demonstrationstisch und bog ihn wie Lakritze. Nur einmal zauberte er – er sprach so schnell, dass Quentin keine Einzelheiten verstehen konnte –, wobei er den ganzen Staub im Raum auffliegen und wie verrückt durch die Luft wirbeln, dann wieder hinuntersinken ließ. Das Ganze hatte keinen anderen sichtbaren Effekt. Während er die Zauberformel sprach, bogen sich seine zusätzlichen Finger zur Seite und rückwärts.
    Eine Stunde verging, dann eine weitere. Quentins Angst kam und ging in starken, schweißtreibenden Schüben, haushohen Wellen. Er war sich gewiss, dass etwas Schlimmes vor sich ging, nur nicht, was genau. Er wusste auch, dass es etwas mit dem Streich zu tun hatte, den er March gespielt hatte. Wie hatte er nur so dumm sein können? Mit einer gewissen Feigheit war er froh, sich nicht bewegen zu können. Das ersparte ihm, mutig eingreifen zu müssen.
    Der Mann schien sich kaum bewusst zu sein, dass er sich in einem Raum voller Leute befand. Er hatte etwas grotesk Komisches an sich – sein Schweigen glich dem eines Schauspielers. Sein Verhältnis zur Zeit war schwankend: Mal bewegte er sich sehr langsam, dann wieder schwirrte er von einer Seite des Raumes zur anderen. Er näherte sich einer Schiffsuhr, die am hinteren Ende des Podiums hing, und schob langsam seine Faust hinein – er schlug nicht zu, sondern streckte sie einfach zum Ziffernblatt durch, zerbrach das Glas, packte die Zeiger und zerstörte den innen liegenden Mechanismus, bis er zufrieden feststellte, dass er funktionsunfähig war. Es schien, als meine er, dass es auf diese Art mehr wehtäte. Das Seminar hätte schon seit Ewigkeiten zu Ende sein sollen. Irgendjemandem da draußen musste das doch inzwischen aufgefallen sein? Wo waren sie? Wo war Fogg? Wo war die Sanitäterin, wenn man sie brauchte? Quentin wünschte, er wüsste, was Alice jetzt dachte. Er wünschte, er hätte seinen Kopf nur um wenige Grade weiter in ihre Richtung gedreht, bevor sie erstarrten, so dass er in ihr Gesicht sehen könnte.
    Die Stimme Amanda Orloffs durchbrach die Stille. Sie musste sich irgendwie aus der Erstarrung befreit haben und sang eine Beschwörung, rhythmisch und schnell, aber ruhig. Diese Formel glich nichts, was

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