Fillory - Die Zauberer
veränderte sich Quentins Lehrplan wieder. Der Anteil der routinemäßig zu erlernenden Gesten und geheimnisvollen Sprachen wurde weniger – obwohl er weiß Gott noch groß genug war –, während mehr Wert auf die eigentliche Zauberei gelegt wurde. Sie verbrachten einen ganzen Monat mit den Grundzügen der Architekturzauberei: Sprüche zum Stärken von Fundamenten, dem Dichten von Dächern und dem Befreien der Gullys vom Herbstlaub, die sie alle an einem schäbigen Schuppen kaum größer als eine Hundehütte übten. Nur eine Formel, mit der man Dächer blitzresistent machte, kostete Quentin drei Tage, bis er sie behalten konnte. Er übte die Gesten wieder und wieder vor dem Spiegel, bis sie exakt saßen, in der richtigen Geschwindigkeit, dem richtigen Winkel und der richtigen Intensität. Und dazu diese Beschwörung! Schlechtes altes Beduin, äußerst kompliziert. Und dann beschwor Professor March ein Gewitter herauf, das einen einzigen Blitz aussandte – welcher das Dach in einem blendenden, demütigenden Augenblick durchschlug, während Quentin daneben stand, bis auf die Knochen durchnässt.
Jeden zweiten Dienstag arbeitete Quentin mit Professor Bigby, dem inoffiziellen Tutor der Physiker, der sich als kleiner Mann mit großen wässrigen Augen und kurz geschnittenen grauen Haaren erwies. Er kleidete sich adrett, wenn auch extrem affektiert, in einen antik anmutenden Staubmantel. Er hatte einen leichten Buckel, wirkte aber ansonsten nicht in irgendeiner Weise kränklich oder verkrüppelt. Quentin hatte den Eindruck, dass Bigby ein politischer Flüchtling war, woher auch immer. Er spielte häufig auf die Verschwörung an, die ihn vertrieben hatte, und malte sich aus, was er tun würde, wenn er irgendwann – unweigerlich – wieder an die Macht käme. Er besaß die steife, verletzte Würde der abgeschobenen Intelligentsia.
Eines Nachmittags während des Seminars – er hatte sich auf absurd komplizierte Zaubertechniken spezialisiert, die Elemente veränderten, indem sie deren Struktur auf Quantenniveau manipulierten – hielt Bigby inne und machte eine seltsame Bewegung: Er fasste erst hinter die eine, dann hinter die andere Schulter und löste irgendetwas hinter seinem Rücken. Quentin dachte dabei sofort an eine Frau, die ihren BH aufhakt. Als Bigby fertig war, schnellten vier wunderschöne, libellenartige Flügel hinter seinem Rücken hervor. Mit einem tiefen, zufriedenen Seufzer klappte er sie auf und zu.
Die Flügel waren hauchdünn und schillerten in allen Regenbogenfarben. Für einen Augenblick flirrten sie summend und wurden unsichtbar, dann hielten sie inne und erschienen wieder.
»Entschuldigung«, sagte Bigby. »Ich konnte es nicht eine Minute länger ertragen.«
Sie nahm niemals ein Ende, die Verrücktheit dieses Ortes. Sie ging immer weiter und weiter.
»Professor Bigby, sind Sie ein …« Quentin unterbrach sich. Ein was? Ein Elf? Ein Engel? Vielleicht war es unhöflich, aber er konnte sich nicht beherrschen. »Sind Sie eine Fee?«
Bigby lächelte gequält. Seine Flügel klapperten trocken und chitinär.
»Ein Kobold, streng genommen«, antwortete er.
Er schien in dieser Hinsicht ein wenig empfindlich zu sein.
Eines Tages sehr früh am Morgen hielt Professor March ein Seminar über Wettermagie und das Hervorrufen zyklonartiger Windphänomene. Für einen stattlichen Mann war er erstaunlich lebhaft. Schon allein, wenn er ihn auf den Zehen wippen sah, mit seinem roten Pferdeschwanz und dem geröteten Gesicht, wünschte sich Quentin wieder zurück ins Bett. Zum Frühstück hatte Chambers, der Butler, teerschwarzen Kaffee serviert. Er braute ihn in einem exotischen, türkischen Gefäß, in dessen Mitte sich eine zarte Kammer aus vergoldetem Glas befand. Doch bis Quentin hinunterkam, war alles weg.
Quentin schloss die Augen. Als er sie wieder öffnete, wandte sich Professor March gerade direkt an ihn.
»… zwischen einem subtropischen und einem extratropischen Zyklon? Quentin? Auf Französisch, bitte, wenn möglich.«
Quentin blinzelte. Er musste eingedöst sein.
»Der Unterschied?«, sagte er. »Tja, der Unterschied …«
Eine lange, peinliche Pause trat ein, in die Quentin mehr Wörter füllte, in dem Versuch, herauszufinden, wie eigentlich die Frage gelautet hatte. Er sagte so oft wie möglich »baroklinische Zonen«, nur für den Fall, dass sie relevant waren. Die Kommilitonen rutschten auf ihren Stühlen herum. March, der den delikaten Duft der Erniedrigung gewittert
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