Film ab im Internat
Wimpern und ziemlich hinreißende Mandelaugen hat.
„Danke“, sagt sie überrascht.
„Bitte“, antwortet Niko und schlendert davon, beide Hände tief in den Taschen seiner ausgebeulten Cargohose vergraben.
Carlotta runzelt die Stirn.
Was war das denn gerade?, denkt sie und grinst. Der Typ ist mir vorher noch nie so richtig aufgefallen. Merkwürdig …
Mit einem Lächeln im Gesicht macht sie sich daran, ihre Gummibärchenserie zu installieren. An einer dünnen Metallleiste, die an den Längsseiten des Gewächshauses verläuft, befestigt sie lange Nylonschnüre mit Bilderhaken, an denen sie die Rahmen aufhängt.
Als alle Bilder hängen, tritt sie einen Schritt zurück und betrachtet das Ergebnis. Es kann sich sehenlassen.
„Gar nicht mal so übel“, findet sie. Obwohl sie nicht gerade die beste Ausstellungsfläche erwischt hat, sorgt der gebrochene Lichteinfall durch die halb blinden, moosgrünen Gewächshausscheiben für einen ganz besonderen Effekt. Die Gummibärchen sehen aus, als bewegten sie sich unter Wasser.
„Sehr cool“, sagt eine Stimme hinter ihr.
Carlotta muss nicht hinsehen, um zu wissen, dass die Stimme Niko gehört.
„Verrätst du mir irgendwann, wie du darauf gekommen bist, ausgerechnet Gummibärchen zu fotografieren?“, fragt er.
„Klar“, nickt Carlotta. „Wenn du willst. Irgendwann mal …“
Sie dreht sich um, aber Niko ist schon verschwunden.
Am Abend ist Carlotta sehr zufrieden mit sich und ihrer Welt. Herr Frankenberg hat sie und ihre Aufnahmen gelobt und als „eines der kreativen Highlights unserer Ausstellung“ bezeichnet. Und das anschließende Aufräumen war auch nicht schlimm. Im Gegenteil, es hat sogar Spaß gemacht, mit den anderen den holperigen Steinboden des Gewächshauses zu fegen und alles für die Vernissage vorzubereiten. Niko war auch dabei und hat sich beim Zusammenklappen des Tapeziertisches den Daumen geklemmt. Carlotta hat spaßeshalber gepustet, und er hat ihr versichert, dass es sofort geholfen hat.
Anschließend haben sie noch Wegweiser gebastelt und überall aufgehängt, damit die Besucher die Ausstellung am Sonntag auch finden.
Zur Krönung des ereignisreichen Nachmittags liegt ein Päckchen von ihrer Mutter auf ihrem Schreibtisch, als Carlotta kurz vor dem Abendbrot ins Schloss zurückkehrt. Blitzschnell reißt sie die Klebestreifen von dem Versandkarton und inspiziert dessen Inhalt: zwei Tüten Lakritzschnecken – der perfekte Ersatz bei akutem Gummibärchenmangel –, ein paar neue T-Shirts, Sportsocken, ein kurzer Brief und ein aktuelles Foto von den Zwillingen.
„Mon Dieu!“ Sofie späht ihr neugierig über die Schulter und staunt. „Sind die groß geworden!“
Carlotta betrachtet Lennart und Lorenz, ihre Halbbrüder, mit einem Lächeln. „Und wie“, sagt sie. „In ein paar Wochen kommen sie in den Kindergarten.“
Obwohl es anfangs schwer für sie war, zu akzeptieren, dass Mama nach der Scheidung von Papa einen neuen Mann kennengelernt und wieder geheiratet hat, kann sie inzwischen gut mit der Situation umgehen. Sie liebt ihre kleinen Brüder über alles und hat sich sogar an deren Vater, Mamas neuen Ehemann, gewöhnt. Auch wenn dieser Steffen ganz anders ist als Carlottas lässiger Papa und außerdem verblüffende Ähnlichkeit mit einem Nilpferd hat.
Carlotta heftet das neue Foto an die Pinnwand über ihrem Schreibtisch und kichert leise. Nobody is perfect.
In ihrem Brief fragt Mama, ob sie das nächste Heimfahrt-Wochenende nicht vielleicht bei ihnen verbringen möchte. Carlotta hätte die Zwillinge so lange nicht gesehen – und auch Steffen würde sich sehr über ihren Besuch freuen.
Carlotta seufzt. Dass sie Lennart und Lorenz lange nicht gesehen hat, stimmt leider. Aber jetzt hat sie Papa doch schon fest versprochen zu kommen. Und mit Katie ist sie auch verabredet!
Nicht zum ersten Mal stellt sie fest, dass es ganz schön kompliziert sein kann, seine Freunde und dazu zwei Familien an verschiedenen Orten zu haben. Egal, wie man sich entscheidet, einer kommt immer zu kurz. Doof ist das.
Schweren Herzens schreibt sie zurück, dass sie das nächste Heimfahrt-Wochenende bei ihrem Vater verbringen möchte, aber das darauffolgende ganz fest für Mama, Lennart, Lorenz und das Nilpferd reserviert hat. Das mit dem Nilpferd schreibt sie natürlich nicht, sondern stattdessen Steffen. Trotzdem hat sie einen Kloß im Hals, als sie den Brief faltet und in den Umschlag schiebt. Mama wird bestimmt enttäuscht sein.
Selber schuld!,
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